Vermittlerin der Welten

 Ulmenkraft & Weisheit

 

Bis ich nach Schweden kam, habe ich niemals bewußt irgendwo Ulmen gesehen. Sie sind eine bedrohte Art. 90% des gesamten noch lebenden Ulmenbestandes der Welt gelten als krank.

 

Die Ursache der Krankheit, die die Bäume sterben lässt, sollen ein Käfer und ein Pilz sein. Beide zusammen befallen die Bäume, so die Wissenschaftler, und bringen sie um.

 

In wenigen Jahren haben starben beispielsweise auf Jersey 300.000 Ulmen, so gut wie der gesamte Bestand dieser Bäume auf der Insel. In England wurden in nur 7 Jahren zwischen 1971-78 20 Millionen Bäume getötet. 70% aller Ulmen des Königreiches. Soweit wußte ich von den Ulmen. Und hatte sie deswegen auch nie sehen oder fühlen können. 

 

In Schweden sind mir Ulmen auf Schritt und Tritt begegnet. Sogar mitten in Stockholm. Die kraftvollsten und schönsten Bäume jedoch fand ich auf Gotland. Mein Kraftplatz ist eine Ulme geworden, die über den Dächern von Visby wächst. Oberhalb des Doms - auf der Höhe seiner Kirchturmspitzen. Von diesem Platz aus, kann ich weit über das Meer schauen, in den Farben der untergehenden Sonne schwelgen und das goldene Abendlicht über Visbys mittelalterlichen Gassen bewundern. Es ist ein traumhafter Platz. Einer meiner vielen Lieblingsplätze in dieser wunderschönen Stadt.

 

Die Ulme dort oben hat mich mit offenen Armen begrüsst. Ich war ganz fassungslos so einen großen und schönen Baum vor mir zu sehen. Die Samen in den Händen zu halten, die Blätter zu berühren, die Rinde zu fühlen. Da stand ein Geschenk vor mir. Und in mir war so unendlich tiefe Dankbarkeit, dass ich ihn finden konnte, sehen konnte, fühlen konnte. So lebendig, so schön. Ich setzte mich an seinen Stamm, er hat mich eingeladen, die Tränen flossen. Ich floss über vor Liebe. Ich konnte eine so tiefe Zärtlichkeit fühlen. Achtsamkeit. Ich wollte diesen Baum liebkosen, ihn mit Liebe überschütten, denn ich spürte, dass ihm das fehlte. Wie lange war es her, dass er die Liebe eines Menschen wahrnehmen durfte? Wie lange ist es her, dass ihn jemand wirklich gesehen hat? Ich spürte seinen Wunsch danach körperlich. Wie einen Sog. Und in mir war so viel Liebe, dass ich davon überfloss.

Es war die Verbindung von zwei Wesen, so wie sich auch Frauen und Männer verbinden. Auf einer anderen Ebene, auf eine andere Art, aber nicht weniger innig und tief. Ich konnte die Seele dieses Baumes spüren, wie meine eigene. Ich konnte seine Gestalt sehen, die Gestalt hinter der materiellen Welt. Die Gestalt des Baumengels. Nicht Mann oder Frau, beides. Harmonie, Verbindung. Keinerlei Trennung oder Zuordnung. Ich hatte das Gefühl, dass die Ulme alles miteinander verbindet. Dass genau das ihre Kraft ist. so, wie es auch meine ist. Deshalb reagierten wir so stark aufeinander. Ich spüre diese tiefe Liebe auch jetzt, während ich schreibe. Sie ist präsent und sie wird mich niemals verlassen. Die Ulme ist zu einem Teil von mir geworden. Und ich bin ein Teil von ihr. 

Ich habe ihre Liebe und ihre Gaben genauso deutlich gefühlt, wie die Sonnenstrahlen auf meiner Haut an einem wolkenlosen Morgen. Ich habe ihre Energie durch mich hindurchfliessen gefühlt. Wie einen Lebensstrom, der durch alle Chakren reichte und ganz besonders das Kehlkopfchakra strahlen ließ. In hellem, wundervollem Blau. Ich habe gespürt, wie es sich schneller drehte. Wie in mir der Mut aufwachte, ganz ich selbst zu sein. Meine Wahrheit auszusprechen. Ohne Kampf. Ohne damit irgend etwas beweisen zu wollen. Ohne ein Ergebnis herbei zu sehen. Einfach nur als Ausdruck von mir. In einem Gefühl von Selbstverständlichkeit. Diese Selbstverständlichkeit, dieser Frieden stieg in diesen Augenblicken tief in mir auf.

 

Das war es, was mir in meinen anderen Leben gefehlt hatte. In den Leben, in denen ich auf Scheiterhäufen verbrannte, weil ich meine Wahrheit sagte. Weil ich nicht abschwören wollte. In den Leben, in denen ich ausgestoßen, verfolgt und gefoltert wurde, weil ich meinem Glauben gefolgt bin. Die Angst vor einer Wiederholung der Geschichte hat mich bisher immer zurückgehalten. Sie hat mich zögern lassen, abwägen. Und das war gut so. Denn bis jetzt war ich nicht wirklich bereit.

 

Die Ulme hat mir das letzte Stück Selbstvertrauen und Sicherheit geschenkt, dass ich brauche, um auszusprechen, was unaussprechbar scheint. Um den Mut zu haben, zu schreiben und zu sagen, was ich fühle. Unabhängig von allem Glauben dieser Welt. Den Mut, ich selbst zu sein. Ganz ich selbst. Danke dir, du wunderbares Baumwesen. Danke für dieses Geschenk!

 

Als ich wieder nach Hause kam, habe ich in Fred Hageneder's Buch "Geist der Bäume" nachgeschlagen. Was ist die spirituelle Bedeutung der Ulme? Wofür steht sie in den Kulturen? 

 

Sie gilt als Vermittlerin zwischen den Welten und Dingen. Zwischen Menschen, zwischen Lebenden und Toten. Lebenden und Lebenden. Sie ist die Brücke zwischen Naturgeistern und Menschen, zwischen den Welten von Feen, Elfen und all dem Unsichtbaren, was uns umgibt. Der Welt der Energie und der Welt der Materie. Sie hat in der Welt der Pflanzen den Platz, den ich für mich in der Welt der Menschen spüre. Sie ist der Baum der Kommunikation und des Austausches. Sie verbindet, was getrennt war. Sie fügt zusammen, was geteilt ist. sie heilt jeden Schnitt. Sie heilt die Haut, die Grenze zwischen Innen und Außen und den Verdauungstrakt, der Stoffliches von Außen in Inneres verwandelt. Sie hat Kontakt mit allen Welten, so wie ich. 

 

Und ich glaube, dass dort der wirkliche Grund für ihr Sterben liegt. Wir Menschen haben die Verbindung untereinander und zu anderen Welten gekappt. Wir haben uns getrennt von dem Lebenden, dass uns umgibt. Wir haben uns voneinander getrennt. Wenn ich heute im Zug oder im Bus sitze, dann gibt es niemanden mehr, mit dem ich reden kann. Jeder ist mit seinem Handy beschäftigt oder hört Musik. Jeder ist woanders, nur nicht hier. Jeder lebt in seiner eigenen Welt, getrennt. Allein. Trotz oder gerade wegen all dieser Kommunikationsmittel. Wir haben uns von anderen Wesen getrennt. Von der Natur, den Tieren und von anderen Welten. Wir erschaffen uns Einsamkeit. Immer schneller und immer radikaler.

 

Das ist es, was uns das Ulmensterben sagen möchte. Das ist die eigentliche Botschaft und dort liegt für mich auch die Lösung. Verbindung. Echte Verbindung. Miteinander, mit uns selbst, mit diesem Augenblick, mit der Sonne, dem Licht, der Luft, den Bäumen, den Pflanzen und Tieren, den Steinen und dem Wasser. Mit der Seele des Menschens vor mir. Mit der Welt, die ich sehe und der die ich fühle. Wir sind nicht allein und wir waren es niemals. Wir sind ein wunderbarer Teil ener wunderbaren Vielfalt. Verwoben, verbunden. Eins.

 

Die Ulme hat mir zum Abschied ihre Samen geschenkt. Ihre Kinder. Sie liegen hier bei mir. Sie warten auf den Frühling. Ich werde sie im Herbst in die Erde legen, damit sie richtig überwintern können und dann.... dann wünsche ich mir viele kraftvolle Ulmenbäume. Hier, in Deutschland. 

......

Vier Wochen später. Gleicher Ort. Die Ulme stirbt. Umso stärker werde ich an die Samen erinnert, die zu Hause darauf warten, in die Erde zu kommen und neues Leben zu werden.

 

Meine Ulme von Visby hat kaum noch gesunde Blätter, die kraftvoll in den Himmel schauen. Es gibt schon Baumteile, die ganz braun sind. Als ich sie sehe, unmittelbar vor meinem Geburtstag im Juli, muss ich weinen. Rund um mich herum sind Menschen. Dieser Platz, direkt neben dem Baum, ist in der Hauptsaison einer der beliebtesten Aussichts- und Erklärungspunkte fuer alle Reiseleiter und ihre Gruppen. Es ist unglaublich, wie laut es ist. Niemand sieht diesen Baum. Niemand nimmt wahr, dass er krank ist. Todkrank.

 

Ich setze mich in seinen Schatten. Und fühle die Baumfrau sofort. Sie liegt in einem weissen Kleid auf ihrem Sterbebett. Matt, krank und gleichzeitig so wunderschön. Ich fühle meine Tränen. Sie fliessen und fliessen. Endlos. Ich fühle ihren Schmerz wie meinen eigenen. Einen Schmerz von "nicht gesehen werden, nicht geschätzt werden, nicht wahrgenommen werden". Hier bei ihr ist niemand mehr an Kommunikation interessiert. Hier wird laut geredet, egal, ob jemand zuhört oder nicht. Egal, ob es wichtig ist, oder nicht. Visby im Juli ist ein Ort des Lärmens. Ein Ort der Party. Ein Ort, in dem sich die Stockholmer Szene trifft, um Sonne zu tanken. Es ist kein Ort des Zuhörens. Es braucht viel Stille in sich, um hier noch zu lauschen. Vor allem auf einen Baum. Das alles erzählt mir die Ulme. Und ich verstehe sie zutiefst.

 

Sie möchte gehen, weil sie nicht mehr gebraucht wird. Sie bittet mich, loszulassen. Von ihr. "Du brauchst mich nicht mehr. Du hast alles in dir, was nötig ist. Du hast meine Kraft in dir. Ich schenke sie dir."  Sie steht jetzt vor mir. Sehr leicht. Sehr ätherisch wirkt sie. Und ich spüre, wie wir uns verbinden. Wie wir eins werden. "Du wirst auf dieser Erde bleiben. Es ist dein Platz. Es ist nicht an dir, zu gehen. Es ist an mir."

 

Diese Aufforderung zum Bleiben habe ich gebraucht. Wie oft habe ich gezweifelt, ob ich wirklich hier sein möchte, in dieser lärmenden Welt. Wie oft habe ich überlegt, ob es nicht besser wäre, zu gehen. Dorthin, wo Stille ist. Aber mein Platz ist hier. Die Ulme hat Recht. Sie geht, ich bleibe. Und beides ist richtig. Beides ist gut. Ich lasse los und nehme ihre Geschenke in mir mit - auf meiner Reise, meiner Lebensreise. Danke. Zutiefst danke!

Fotos: Heike Würpel

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0