Schottische Urwälder?

 Ja.

 Schottische Urwälder. 

 

Heute sehen die Berge Schottlands karg und kahl aus. Moose bedecken sauren Boden. Erosion ist sichtbar. Und eine ganz eigene Art von Schönheit. Weil, wir die Bilder dieses Landes nicht anders kennen. Weil wir nicht wissen, was dort wirklich einmal war.

 

Die schottischen Berge, das gesamte Land war von Urwäldern bedeckt. Sie fielen im Lauf der Jahrhunderte dem Raubbau zum Opfer. Lebende Wesen, Bäume, feuerten Maschinen für den Kohle- und Eisenbergbau an, sorgten für die Verarbeitung der Erze, die eigentlich in die Erde gehören. Bäume wurden in Schiffe verwandelt, die den Menschen dazu dienten, sich gegenseitig zu töten. Für Macht. Aus Angst. Es waren die Engländer, die das vollbrachten. Später kamen Schafe, die Reste kahlfraßen und mit ihrem Hunger das Nachwachsen von Schößlingen verhinderten.

Nach dem 2. Weltkrieg versuchten die Menschen sich in der Aufforstung. Sitkafichten wurden gepflanzt. Sie sind bei der kommerziellen Holzindustrie äußerst beliebt. Auch heute noch sind große Gebiete sichtbar, in denen Bäume, wie eine Armee in Reih und Glied an den Berghängen stehen. Nichts an diesem Anblick ist schön oder natürlich. Es sieht aus wie eine riesige künstliche Plantage. Diese Fichtenart laugt den Boden weiter aus, ist extrem anfällig gegen die schottischen Winde und wenn ein ganzer Hang gefällt wird, bleibt ein Boden, der müde ist. Geschlagen.

Ein Prozent der ursprünglichen Urwälder ist noch lebendig. Ein Prozent einer einst riesigen, unüberschaubaren Lebendigkeit. Teilweise sind diese Wälder schon so alt, dass sie sich kaum noch fortpflanzen können. Sie sind Wunderwerke der Natur. Mystische, moosbewachsene, tiefzerfurchte Borkenbäume. Zutiefst lebendig, zutiefst heilig. Am Loch Lomond, am Loch Ness kann man sie noch finden. Direkt an den Ufern der Seen. 

Als ich dort entlangfahre, kann ich meinen Blick nicht von den Bäumen lösen. Ich halte an, steige aus und umarme diese wunderbaren Wesen. Ich spüre ihre Kraft, auch ohne sie zu berühren. Sie sind wie Urgroßeltern. Ahnen. Wächter der Erde. Unter ihrem grünen Dach bin ich zu Hause. Beschützt und verbunden mit dem Leben. In ihren Wurzeln und Stämmen ist die Kraft ihrer Herzen. Sie kennen keine geraden Formen. Sie kennen nur die Vielfalt. Die Schönheit in den Unterschieden. Die Schönheit in den Verzweigungen. Hier gibt es keine Gardemaße, keine Gleichmacherei, nur die Individualität. Mein Atem stockt und meine Augen strahlen. Tränen. Leuchten. In diesem Moment und in jedem Augenblick, in dem ich sie wieder fühle. So, wie jetzt. 

Sie sind ein Schatz, so wie jeder Teil unserer lebendigen Welt. So wie jeder Teil unserer Erde. So, wie auch wir ein Schatz sind. Sind wir in der Lage, das zu fühlen? Sind wir in der Lage das zu sehen und so zu handeln, dass wir stolz auf uns sein können? Auf das, was wir tun? Auf das, was wir verkörpern?

 

Ich hatte meine Zweifel, als ich durch die schottische Bergwüste fuhr und die Baumplantagen, den Kahlschlag und die ungeschützte Erde gesehen habe. 

 

Aber - es gibt einen neuen Anfang. Eine Millionen Bäume wurden bereits wieder gepflanzt. Eine Millionen Urwaldbäume. Schottische Kiefern, Birken. Ebereschen. Alle die Arten, die hier ihre Heimat hatten. Trees for Life, gegründet von Menschen in Findhorn heißt die Organisation, die Herzblut in die Wälder gibt. Es gibt noch andere Organisationen. Es gibt Menschen. Es gibt tatsächlich Menschen, die fühlen und die handeln. Und jeder, der möchte und einen Ruf hört, kann helfen. Jeder. Ob hier oder an einer anderen Stelle dieser Welt. Es gibt genügend Plätze. Es gibt genug zu verändern. Für uns alle gibt es genug. Lasst uns beginnen! Lasst uns weitermachen! Mit Herz und mit Liebe. Wir können die Wunden heilen. Wir können auch das. Es ist Zeit.

Das, was mir in Schottland noch ins Auge gefallen ist und unendlich wehtut ist der Raubbau an der Erde selbst. Torf.

 

Seit Jahrhunderten gibt es diesen Boden hier. Genauer gesagt, seit die Menschen, die Birken abgeholzt haben, die ursprünglich einmal dort wuchsen. Unendlich weite Ebenen erblickte man heute, die voller Wasser, Moor und Moosen sind. Braune Weiten, so wie auf den Hebriden. Seit Menschengedenken bauen Menschen diesen Torf ab und verbrennen ihn. Weil das die für sie einzige erreichbare Heizquelle ist. Sie verbrennen ihre Erde. Nirgends ist mir die Absurdität dieses Gedankens so unmittelbar erfühlbar geworden, wie in Schottland. Nirgendwo sonst, war der Schmerz und die Verwundung der Erde so direkt spürbar. 

 

Es ist nicht so, dass der Torf schnell nachwachsen würde. Er braucht einige Jahrhunderte, um sich nachzubilden. Soviel Zeit lassen ihm die Menschen nicht. Ich habe den Unterschied gesehen, auf den Hebriden. Den Unterschied zwischen intaktem Torf und Abbaugebieten. Die Abbaugebiete fühlen sich an wie große, blutende Wunden. Die Erde schreit. Sie schreit. Sie windet sich. Es ist purer Schmerz. Hast du einmal gespürt, wie sich ein Schnitt anfühlt? An deinem Körper? Das hier ist nicht anders. Ich konnte diese Erde kaum anschauen. Es hat mich geschüttelt. Und auf der anderen Seite der Straße war ein Stück Beruhigung. Wenigstens einen Atemzug lang. 

 

Nur weil Menschen etwas viele Jahrhunderte lang tun, wird es nicht richtig. Traditionen machen aus einem Mord keinen Friedensengel. Ich kann die Menschen verstehen. Sie brauchen Licht und Wärme. Aber - hat sie die Erde denn überhaupt hierher eingeladen? Sollten sie hier sein? Hat jemals jemand wirklich an andere Möglichkeiten gedacht? In einem kleinen Museum in den Blackhouses, den ehemaligen (bis 1976) noch bewohnten dunklen Häusern wird ein Film gezeigt. Mit Stolz werden die einzelnen Stadien des Torfabbaus und das mühsame Trocknen gezeigt. Mir wird schlecht.

 

Was immer irgend jemand sagt, das hier ist nicht richtig. Die Erde sagt deutlich nein. Es reicht, die Ohren und das Herz ein wenig zu öffnen, um das zu wissen.

 

Wann werden wir an dieser Stelle hören? Wann? Wieviel Erde wollen wir noch in unsere Hände nehmen und verbrennen?

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0