Tag 5 - Lake Windermere zur New Pelion Hut

16,75 Kilometer

ca. 6-7 Stunden Laufzeit

380 Meter Anstieg, 530 Meter Abstieg

Die längste Etappe wartet heute auf mich. Es fällt mir schwer, weiterzugehen, weil mein Herz so sehr mit dieser Hochebene verwoben ist. Die Erlebnisse von gestern klingen wie eine große Symphonie nach. Ich spüre die Präsenz der Aborigines und ein Teil von mir würde liebend gern den ganzen Tag dort oben bei der Steinformation mit ihnen meditieren anstatt weiterzugehen. Aber in mir ist auch eine Stimme, die zum Gehen einlädt, weil hier alles getan  und alles gefühlt ist. Eine Stimme, die mir sagt, das diese Heilung weiter ins Land getragen werden will. Schritt für Schritt. Mit mir. 

 

Deshalb gehe ich. Hinein in einen traumhaft schönen Tag. Wieder weit hinter fast allen anderen Wanderern, die in Ehrfurcht vor der langen Etappe teilweise schon um sieben losgelaufen sind. 

 

Es ist ein Liebkosten des Landes mit dem Augen. Wohin ich auch blicke, heute ist um mich herum nur Vollkommenheit. In jedem weiten Ausblick hinüber zu den näher rückenden Bergen. In jedem Baum. In den kunstvoll verwobenen Baum-Steinhochzeiten im uralten Wald. Im goldenen Glanz des Grases. In den kleinen Seen, den sprudelnden Bächen und dem Rauschen der hohen Eukalyptuswälder. Ich wandere durch Duft- und Blütenparadiese und ich räkele mich in den weiten, weiten Ausblicken auf dieses Land. 

 

Meine Füsse gehen über endlose Bohlenstege. Einer nach dem anderen. Kilometer um Kilometer. Endlos. Je länger ich den dumpfen Hall des Holzes höre, desto unruhiger werde ich. Es fühlt sich nicht richtig an. Alle in mir sehnt sich nach Berührung mit der Erde. Alles in mir schreit nach Kontakt und Verbindung. So bin ich wie ein Fremdkörper. Ein unerwünschter Fremdkörper auf dem Weg. Jedenfalls im Glauben der Trailerbauer. Ich kann sie verstehen. Ich habe schon genügend breit ausgetretene Pfade gesehen, die nach jedem Regenguss weiter und weiter werden, weil niemand durch das Schlammloch in der Mitte waten will. Aber das hier ist zuviel. Viel zuviel. Die gesamte Balance ist zerstört.

 

Im Wald verlasse ich den Steg. Vorsichtig. Tastend. Es ist wie eine Offenbarung. Die Erde sehnt sich nach menschlicher Berührung. Sie möchte genauso wenig, wie ich, abgetrennt sein. Sie braucht den Kontakt, wie jedes menschliche Wesen. Kinder sterben ohne Zärtlichkeit. Erwachsene kompensieren den Mangel und werden zu ewig nörgelnden, unzufriedenen Zeitgenossen. Über unsere Füße kann Liebe fließen. Hinein in den Boden und wieder zurück von der Erde in unser Herz. Die Liebe will fließen. Sie muss fließen. Aber sie kann es nicht, mit dieser hölzernen Trennung, die uns weit über dem Boden wie in einer anderen Wirklichkeit durch das Land führt.

 

Sie kann es auch nicht, wenn die Menschen nur darüber trampeln. Wenn sie nicht wahrnehmen, was für ein Wunder sie berühren. Wenn nur das Ziel eine Rolle spielt, niemals der Augenblick. Aber jeder bewußte Kontakt, jedes Streicheln der Erde, jede Wertschätzung und Achtung kommt tausendfach zurück geflossen. Und genau das erlebe ich in diesem Moment. Vollkommene Verbindung. Pure Freude. Eins-Sein. Und eine Flut aus Liebe, die sich in jeder Zelle meines Körpers ausbreitet. Ja, so möchte ich gehen. Ich möchte den Boden liebkosen. Am liebsten auch ohne Schuhe. In der direkten Verbindung, ohne jede Grenze. So, wie die Aborigines gelaufen sind. So, wie ich in Deutschland laufe, wenn ich kann.

 

Aber soweit bin ich noch nicht. Noch lange nicht. Nicht in Australien. Nicht auf dem Kontinent, auf dem sich alle giftigsten Tiere des Erde versammelt haben. Aber mehr Barfußlaufen kommt jetzt definitiv auf meine Wunschliste. 

 

Der Wald lichtet sich langsam. Ja, es war ein langer Weg heute. Aber er hätte auch noch länger dauern können. Denn nach dieser unendlichen Stille, trifft mich der Lärm der Hütte wieder wie ein Schlag. 

 

Ich suche nur konzentriert mein Bett und bin sofort wieder draußen. Ich würde so gern schwimmen heute und den Schweiß vom Körper spülen. Aber die Plätze, die ich finde, gefallen mir nicht. Und es wird Abend und damit fällt kühle Luft über die Ebene. Sie erfrischt mich so sehr, das ich kein kaltes Wasser mehr brauche. Nicht heute.

 

Die Hütte liegt an einem traumhaft schönen Platz. Mitten in der sumpigen Wiese, aber dafür auch mit einem weiten Ausblick, direkt auf einen der schönsten Berge, die ich je gesehen habe. Mt. Oakleigh. Er hat etwas so Markantes mit seinen Felsenzacken, das ich die Lust der Leute gut verstehen kann, die ihn erklettern wollen. 

 

Das ist ein wunderbarer Platz zum Bleiben. Es ist ein wunderbarer Platz zum Angekommen sein. Und voller Bilder träume ich hinein in den Morgen. 

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0