Dänemark kennt keine Paukenschläge. Es drängt sich nicht in die Aufmerksamkeit der Medien oder des Weltgeschicks. Es ist ein weites, stilles Bauernland, in dem auf den ersten Blick nicht viel geschieht. Es ist ein Land, das keine hohen Berge sein Eigen nennt oder atemberaubende Landschaften. Hier bleibt alles im Rahmen. Es taucht nicht über die Ecken hinaus auf. Und wirkt dabei fast langweilig.
Da sind Städte, die zu aufgeräumt wirken, um lebendig zu sein. Straßen, die so abgezirkelt gerade und breit verlaufen, das sie für das fünffache der Bevölkerung genauso leicht reichen würden. Da sind Häuser, die in ihrer Perfektion abschrecken und kleine Gärten, in denen alles so wächst, wie es soll. Keinen Deut anders. Es wirkt alles durchdacht und berechnet. Wie ein geplantes Paradies.
Auch in den putzigen alten Städtchen ist das für mich noch spürbar. Obwohl hier das Leben tobt. Touristisches Leben. Die Menschen von anderswo zieht es in dieses Land, in diese Aufgeräumtheit und sichere Schönheit. Hier scheint es keine Überraschungen zu geben, hier gibt es nichts zu befürchten. Alles geht seinen Gang, so wie er sein soll.
Aber dieser Eindruck täuscht. Er bleibt an der Oberfläche. Dänemark steht auch für Pioniergeist. Einem stillen Pioniergeist. Hier wird nicht groß über alternative Welten oder Lebensformen geredet, hier werden sie einfach gelebt. Nirgendwo gibt es so viele ökologische Anbauflächen, nirgendwo ist die Autonomie von Energieriesen weiter gediehen. Nirgendwo tummeln sich so viele Visionäre, die ihre Idee von einem bessern Miteinander mit der Natur einfach leben. Nirgendwo sonst gibt es einen ganzen autonomen Stadtteil, wie die Freistadt Christiania mitten in Kopenhagen, die ihr ganz eigenes Leben lebt. Seit 1971. Sie ist schon wieder so integriert und normal, das sie gar nicht mehr auffällt.
Doch Dänemark hat auch eine Geschichte, die nicht so positiv ist. Und das ist ein Thema, über das nur sehr wenig geredet wird. Es ist ein blinder Fleck, den am Liebsten jeder vergessen möchte. Dänemark war ein europäische Großmacht. Es hat die Überlegenheit genauso gelebt, wie es ein Opfer war. Von der Kalmarer Union über die Kolonialisierung Nordeuropas bis hin zu den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs dehnt sich der Bogen. Beide Extreme, die wir alle kennen, sind auch im friedlichen Dänemark zu Hause. Die Kolonialgeschichte des Landes war nicht weniger brutal, als die anderer Länder. Ich habe die Folgen davon auf Island gesehen, ich sehe sie in Grönland. Ich erlebe den Umgang der Dänen damit. Das Verdrängen und das betretene Schweigen. Stück für Stück kommen die Themen zur Sprache. Aber es ist ein sehr zäher und langwieriger Prozess. Zu schön ist es, sich in einem positiven eigenem Selbstbild einzurichten und das in die Welt hinauszusenden. Ja, es ist schön, doch unter der Decke wirkt auch das Andere. Und es wird sich immer wieder seinen Weg bahnen, an den unerwartetsten Stellen, wenn man weiter versucht, wegzuschauen.
Es ist noch früher Morgen. Die schneeweiße Kirche glänzt im strahlenden Sonnenlicht und verlockt zu Fotos. Eine runde Kirche. Sie hat etwas von einer Festung und gleichzeitig ist sie sehr filigran und leicht. Sie ist schön. Richtig schön. Und dann steht da dieser Baum. Direkt vor dem Eingang. Eine alte, tote Eiche. Wie ein Mahner strecken sich ihre Äste in den Himmel. Das Holz ist unglaublich. Diese Maserung, dieses Muster. Meine Hände streichen die warme Natur, in der es kein Leben mehr gibt. Und ich frage mich, warum sie gestorben ist. Die Antwort liegt in der Kirche.
Etwas an dem Gebäude ist so stark und negativ, dass sie aufgegeben hat. Die schneeweiße Kirchenfarbe überdeckt etwas. So fühlt es sich schon an, bevor ich die Schwelle auch nur überschreite.
Eine langgezogene Auffahrt bringt mich mit meinem Rad hinauf auf den Berg. Ganz oben winkt die Kirche schon von weitem jedem zu, der sich nährt. Rutskirke ist die höchstgelegene Kirche der Insel. Ich spüre ihre Ausstrahlung fast einen Kilometer lang, bevor ich überhaupt da bin.
Es ist der älteste Teil – eine romanische Kapelle aus dem 12. Jahrhundert, die mich anzieht. Weißgekalkte Mauern. Die Aussicht von hier oben verschlägt mir den Atem. Ich kann buchstäblich über die gesamte Insel schauen. Als ich vor der Kirchentür stehe, höre ich Orgelklänge und sofort verwandelt sich die Atmosphäre in etwas Heiliges.