Ein neues Wir

 Frauen & Männer

Ich hatte schon Tränen in den Augen bevor ich auch nur ansatzweise durch die Kirchentür gegangen war. Etwa an dieser Kirche zog mich an.

 

Ich hatte keinen Blick für die Schätze dieser Kirche, ich schaute nur nach vorn, nahm den Altar und die Kanzel wahr. Die Weite des Raumes, die Backsteingotik. Aber alles das war nebensächlich. Mein Gefühl war das Wichtigste. Nur mein Gefühl.

 

Ich setzte mich ganz vorn in die erste Kirchenbank und war still und offen. Die Tränen flossen weiter und wurden immer mehr zu einem reißendem Strom. Noch immer hatte ich keine Ahnung, warum ich weinte. Ich ließ es einfach nur geschehen. 

 

Dann fühlte ich eine Gestalt vor mir niederknien. Einen Mann. Er wechselte die Form, die Gesichter, es waren viele Männer. Jesus war einer der wichtigsten und mein Anam Cara. Er legte seinen Kopf in meinen Schoß. Wie ein Ausruhen, ein Innehalten, ein Fallenlassen war diese Geste. Aufhören mit der männlichen Führungsrolle und sich total entspannen in die Weiblichkeit, die ich verkörperte. Aufhören mit der Rolle des Helden, des Versorgers, Ernährers. Desjenigen, der alle kann, der alles trägt und zusammenhält. Aufhören mit der Rolle, dass "Mann" das Geld verdienen muss. Aufhören mit allen diesen Spielen einer Welt, in der Männer und Frauen gegeneinander arbeiten und sich selbst verleugnen lassen, nur um einer Rolle gerecht zu werden. Aufhören mit Besser und Schlechter, mit Abhängigkeit und Unterlegenheit. Mit Kampf und Streit. Mit Widerstand und Angst.

 

Diese Geste war pures Vertrauen, pure Hingabe. Sie hat mich zutiefst erschüttert. Ich habe gespürt, dass ich mir genau das immer gewünscht habe. Ich habe mir Männer gewünscht, die loslassen. Die sich in mich fallenlassen können. Die es wagen. Die keine Angst mehr davor haben, hinterrücks verletzt zu werden. Frauen sind keine Schlangen. Sie sind keine Feinde. Da ist nur Liebe, kein Leid. Da sind nur offene Arme und Verstehen, keine Richterin, keine Henkerin. Da ist nur Liebe. Ich bin nur Liebe.

 

Diese Geste des Vertrauens von den Männern vor mir hat noch etwas Anderes ausgelöst. Ein Gefühl von Kraft und Stärke in mir. Das Gefühl von, ja, ich kann vorn weg gehen und einen neuen Weg beschreiten. Bis zu diesem Moment habe ich das tief in meinem Herzen nur den Männern wirklich zugetraut. Ich habe mich selbst kleiner gemacht, als ich wirklich bin. Jetzt, hier, in diesem Augenblick wird mir das alles bewußt. Ich werde mir selbst bewußt. Ich spüre die in mir wohnenende Fähigkeit zum Führen. Auf meine ganz eigene Art, eine weibliche Art. Sie fühlt sich still an, klar, leise und sanft. Und sie ist verbunden mit einer tiefen Liebe zu allen Wesen. 

 

Ja, ich lebe in einer Welt des tiefen Wandels. Und ich merke: wenn ich meinen Platz wirklich einnehme, meinen Platz als Frau, in dieser Welt, dann kann die Balance, die Harmonie, das Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen neu entstehen. Es ist eine Welt des gegenseitigen Vertrauens. Des Vertrauens von jedem Menschen, ob Mann oder Frau, in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten. Eine Welt des Vertrauens in das andere Geschlecht. Es ist eine Welt des Friedens zwischen Frauen und Männern. Eine Welt der puren Liebe. Und diese Welt ist es, die ich mir wünsche. Solange ich atmen kann. Eine Welt, für die ich jetzt die Worte habe.

Foto: Heike Würpel

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0