Es ist ein stilles Land. Es ist ein dunkles Land. Doch wenn die Tage klar sind, dann zaubern sie, oberhalb des Polarkreises, stundenlange Sonnenuntergangsstimmungen an den Himmel, die einfach nur atemberaubend sind. Ich habe Finnland bisher nur im Winter erlebt. In der Stille. Alles erscheint vertraut, doch wie leise gedimmt. Abgegrenzter. In sich gekehrter. Die einzelnen Gehöfte liegen wie kleine Lichterinseln in einem riesigen Waldmeer. Rundherum Kälte. Rundherum Schnee. Die Menschen sind wie Spiegel der Landschaft. Warm und verbunden in den kleinen Gemeinschaften und Familien. Zurückhaltend und unnahbar nach außen. Der Abstand ist größer, als bei jeder anderen Kultur. Er löst sich nur in der Sauna auf und beim Trinken. Ich gehe meinen eigenen Weg der Begegnung hier und stoße auf Verwunderung. Ich berühre gern, ich umarme gern. Alles das, was hier nicht normal ist. Doch irgendwie scheint es die Gemüter aufzutauen, wie Schnee im Frühlingsfön. Lachen umfliegt mich. Verschmitzheit. Wärme. Während die Welt um uns herum in tiefes Weiß getaucht ist und die Sonne nicht über den Horizont schaut.
Ich bin nördlich des Polarkreise in einem Winterwunderland. Ein Märchen. Kein Wunder, das der Weihnachtsmann hier sein zu Hause gefunden hat. Irgendwo inmitten der 1.888 Seen. Mitten in dem Land mit einer fast unsprechbaren Sprache. Wer - um Himmels willen - denkt sich eine Kommunikation mit 26 Fällen aus? Wer formt so viele Silben aneinander, das die Worte nicht mehr überblickbar sind? Doch die Laute klingen wundervoll. Singend, klar, rrrrollend, herrlich. Ich möchte gern mitreden, bleibe aber beim Kiitos und Kippis stecken. Danke und Prost. Vielleicht noch Ykksi, kaksi, kolme - eins, zwei, drei. Dann bin ich erstmal am Ende. Aber der Zauber schwingt in der Luft und ich weiß, das ich ihm weiter folgen werde. So, wie dieser Natur. Den zurückhaltenden Menschen. Der Ruhe. Dem Wasser. Den undurchdringlichen Wäldern. Den Wölfen. Den Luchsen. Etwas hat mich hier berührt. Wie mit einem Zauberstab.
Vielleicht ist es diese Stille, dieser Frieden, den ich im übervollen Deutschland mittlerweile so sehr vermisse. Ja, vielleicht ist es dieses unbeschwerte Alleinsein, das vollkommen normal ist. Das, was mich in Mitteleuropa zu einer Außenseiterin macht, ist hier natürliche Wesensart. Das tut mir gut. Es tut mir gut, in Ruhe gelassen zu werden und in Ruhe lassen zu können. Es tut mir gut, nachts auf diesem eisigen See zu stehen, in den granidosen Sternenhimmel zu schauen und auf Nordlichter zu warten. Es tut mir gut, den Spuren der Rentiere zu folgen. Es ist ein Geschenk, im Iglu die Nacht zu verbringen, eingepackt in den warmen Schlafsack. Und es tut gut, dieses so selbstverständlich starken und kraftvollen Frauen zu erleben. Sie sind mit einem Lächeln gleichberechtigt. Sie nehmen sich ihren Platz einfach. Ohne jedes Bedenken. Was für ein Geschenk, das zu erleben.
Was für ein Geschenk ist es, in der Saunahitze zu sitzen und kurz darauf im eiskalten Wasser unterzutauchen. Niemals hat mein Körper mehr geprickelt und Lebendigkeit geschrien. Was für ein Geschenk ist es, die Ski oder Schneeschuh unter den Füßen zu spüren und in eine grenzenlose Waldeinsamkeit zu tauchen. Was für ein Geschenk ist es, niemandem zu begegnen. Und was für ein Geschenk ist es, mit den Huskieschlitten über das Land zu fliegen. Es ist eine Grenzenlosigkeit, die hier existiert und die tief in mein Herz sinkt.
Finnland. Die Menschen scheinen noch all' das zu wissen, was für das Überleben nötig ist. Sie würden nicht verhungern in ihren Wäldern. Sie wissen genau, wo sie jagen, fischen oder Beeren pflücken können. Und sie tun es auch. Jeden Sommer wieder. Denn die Monate im Sommerhaus gehören zu ihrem Leben, wie auch die klare Luft zum Atmen. Ja, sie werfen sich auch dem Gegenteil in die Arme, ich weiß. Nirgendwo sonst ist die Digitalisierung und Handy-Benutzung normaler als hier. Sie überwindet die vielen Grenzen. Und, ja, es gibt ihn auch, den Lärm. Wie kann ich die vielen Schneemobile vergessen, die bei der ersten Gelegenheit aus dem Sommer-Dornröschen-Schlaf geholt werden? Ihnen scheint die Wildnis zu gehören. Doch, nur scheinbar. Auch der größte Motorenlärm verliert sich hier in den Tiefen der Wälder. Sobald ich ihre markierten Strecken verlasse, versinke ich nicht nur im Schnee sondern auch in meine Seele hinein. Genau dort, wo ich zu Hause bin.
Danke Finnland, das du mich wieder dahin zurückbringst.