Irland ist das Reich von Feen und Gnomen. Das Reich der unsichtbaren Wesen, die doch ganz präsent in unseren Seelen zu Hause sind. Eine Insel, deren Zerissenheit schmerzt und deren Grün den Augen schmeichelt. Es ist das Land des Regens und Wassers. Das Land von wilden Winden, steilen Küstenklippen und sanften Hügelländern. Ein Land des Horizonts.
Das Selbstverständnis der Iren ist von ihrer Geschichte geprägt. Von dem langen Tauziehen zwischen Unabhängigkeit und fremden Machtinteressen. Normannen und Engländer gegen Irland. Ein echtes Miteinander gab es nie. Immer waren die jeweiligen eigenen Interessen denen des Landes überlegen. Die Fremden kamen als Ausbeuter, nicht als Freunde. Irland als extra Juwel in der Krone - nicht als gleichwertiger Partner. Das trübt das Verhältnis mit den Nachbarn bis heute. Bis heute hat es auch die Trennung der Insel zementiert. Englisches Nordirland hier - Irische Republik dort. Eine echte Einigung, ein wirkliches friedliches Miteinander scheint an der Oberfläche zu funktionieren, aber schaut es auch im Inneren aus Überzeugung so aus? Ich bezweifele es. Es fühlt sich eher nach einer Art Müdigkeit an. Müdigkeit vom ständigen Kampf miteinander.
Vielleicht auch Müdigkeit im Kampf mit der Natur. Die Kartoffelfäule und die folgenden Massenauswanderungen sind Teil des irischen Selbstverständnisses. Heute leben nur 6 Millionen Iren auf der Insel - 2 im Norden - 4 in der Republik. Im Ausland jedoch können 80 Millionen Menschen auf eine irische Abstammung pochen. 36 Millionen Menschen in den USA, 14 Millionen in Großbritannien, 4 Millionen in Kanada, 2 Millionen in Australien und Tausende in Neuseeland, Südafrika und der Karibik.
Kaum eine andere Gruppe Menschen kann sich auf so ein Weltbürger-Image berufen, wie die Inselbewohner. Sie waren ein Gewinn für jedes Land, in das sie kamen. Doch, was hat es für die Heimat bedeutet, das ein großer Teil seiner Menschen gehen musste? Was hat es für ihr Selbstbewußtsein bedeutet?
Irland machen die Zahlen zum Sehnsuchtsziel. Eine kaum besiedelte Insel lässt unsere zugebauten mitteleuropäischen Träume erwachen. Nach einer Welt, in der wir den Himmel noch sehen können. In der die Stille noch präsent ist und der Klang des Meeres nicht in der Diskomusik des nächstgelegenen Campingplatzes untergeht.
Dazu kommt eine mystische Vergangenheit, die alle christliche Missionarisierung nicht vergessen lassen konnte. Keltisches Erbe ist hier Gegenwart. Und sei es nur in den Klängen von Sprache und Musik. Sei es nur in den Wünschen seiner Besucher. Jeder, der Irland erlebt, kommt verändert zurück. Jeden berührt etwas, das sich nicht in Worte fassen lässt. Ob nun an den Steinkreisen, an einer der verfallenen Ruinen oder beim Lauschen in den heulenden Nachtwind. Hier hat sich etwas Pures erhalten. Etwas, das uns erinnert - daran wie wir waren und wie wir sein sollten. Verbunden mit der Natur. Mit Meer, Himmel und Land.
Die Bewohner selbst jedoch sehen es wahrscheinlich ganz anders. Für sie ist das, was wir bewundern so normal, das sie es mit Füßen treten. Wilde Müllkippen an den schönsten Küstenabschnitten, horrende Strafen für die Entsorgung alter Autos im Moor und ewiger Torfabbau, der die Grundlagen des Bodens zerstört, sprechen eine deutliche Sprache. Iren scheinen ihre Heimat nicht so zu schätzen, wie der Rest Europas es tut. Vielleicht weil zuviel Schönheit blind macht? Und weil sie auf den ersten Blick keinen Wert zu haben scheint in einer Welt, die nur nach Wirtschaftlichkeit giert.
Doch die wirkliche Schönheit, der wirkliche Wert - der liegt hier - vor unseren Augen. Und in unserer so überdeutlichen Sehnsucht. Einer Sehnsucht, die uns mit Feen tanzen lassen möchte und im grünen Gras versinken. Einer Sehnsucht, die den Wind streichelt und den Sternenhimmel besingt. Einer Sehnsucht, die uns hierherkommen lässt. Wieder und wieder und wieder. Bis nichts mehr davon übrig ist. So, wie bei uns zu Hause.