2500 Kilometer liegt die "Isle of Sky" vom Bodensee entfernt. Hier stehe ich jetzt, habe noch wenige Stunden Zeit, bis mich die Fähre hinüberbringt auf die Äußeren Hebriden. Hinüber zum westlichen Rand Schottlands. Dahinter kommen nur noch - leicht nördlich versetzt - die Färöer-Inseln und Island. Ich sehe die Inselkette am Horizont und habe Tränen in den Augen. Ich fühle mich so tief willkommen geheißen von diesen Inseln. Ich weiß, dass ich bekannten Boden betreten werde. Ich komme nicht zum ersten Mal zu diesem Land. Ich werde nicht zum ersten Mal diese Erde betreten. Sie ist mir vertraut, aus einem anderen Leben. Aus einer anderen Zeit. Aus der Zeit, als ich mit einem Schiff aus Atlantis herübergekommen bin. Als Priesterin. Zusammen mit einer Menschengruppe, die gerade ihre Heimat verloren hatte. An einen Ort, der sie willkommen hieß, aber gleichzeitig so rauh, wild und weit entfernt lag, von ihrem zu Hause, wie es nur möglich war.
Lewis und Harris heißen die Inseln heute, es sind die beiden nördlichen Inseln der Äußeren Hebriden. Sie empfangen mich mit Kargheit. Weite Moorlandschaften, braune Moose bis zum Horizont und Berge, die die Farbe weitermalen, bis in den grauen Himmel. Es ist stürmisch. Es wird stürmisch bleiben, in der gesamten Woche, die ich hier sein werde. Es ist schon später Nachmittag und ich möchte zu den Stones of Callanish. Zu einem Steinkreis, der in der Form eines doppelten keltischen Kreuzes gestaltet zu sein scheint. Diese Ort hat mich gerufen. Über die große Entfernung hinweg.
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Kurz bevor ich den Platz erreiche, bleibe ich wie geblendet stehen.
Diese weite Ebene, mit den hohen Bergen im Hintergrund und kleinen eingesprenkelten Seen berührt mich so tief in meiner Seele. Ich fühle, wie ein anderes Leben mich hier erreicht, als hätte es nur auf mich gewartet. Das Leben als Indianerin in den weiten der amerikanischen Prärien. Ich sehe mich über die Weite galoppieren. Mit all dieser unendlichen Freiheit und Lebendigkeit im Herzen. Es fühlt sich so vertraut an. So vertraut.
Callanish ist eingezäunt. So, wie auch die Plätze in England. Ich weiß genau, wo es hätte stehen sollen. Ich fühle den richtigen Platz. Ganz exponiert, weithin sichtbar sollten diese Steine sein. In mir ist das Gefühl, dass die Eingriffe der Menschen, die Energiezentren der Erde verändert haben. So sehr, dass die Steine von Callanish heute eine großen Teil ihrer eigentlichen Kraft verloren haben. Callanish heute ist nicht nur von einem Zaun umgeben sondern auch von Häusern. Keines dieser Häuser zeichnet sich durch besondere Schönheit aus. Sie sind zweckmäßig. Eckig, kantig und grau. Sie sind da, um gegen das Wetter zu trotzen. Eine Verteidigunglinie. Aber sie sind nicht mit der Erde gebaut sondern gegen sie. Wie eine lebendige Kampfansage. Sie tun meinen Augen weh und meinem Herzen. Dann ist da noch ein Besucherzentrum, gebaut mit Fördermitteln aus der EU. Es passt ein klein wenig besser in das Bild als die Wohnhäuser. Aber wirklich nur ein klein wenig.
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Ich lasse alles an mir vorüberziehen, wie in einem Film und konzentriere mich auf die Steine, die vor mir auftauchen. Wieder ist da dieses Gefühl der Vertrautheit. Es zieht mich direkt zum größten Stein, im Zentrum. Und als meine Hand diesen Stein berührt bin ich gleichzeitig zwei Wesen. Eilan, die Priesterin aus Atlantis und Heike. Ich sehe zwei Hände, ich spüre zwei Hände, ich spüre zwei Körper. Wir sind parallel dort und streichen über diesen wettergegerbten Stein. Es ist eine Begrüßung der Herzen. Eine Umamrung. Ein weites Willkommen. Gut, wieder hier zu sein.
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In der kommenden Woche bin ich jeden Tag kurz an den Steinen. Immer wieder stelle ich fest, dass dort nicht mehr die Kraft ist, die ich eigentlich in meinem Inneren für diesen Platz "gespeichert" habe. Hier hat sich alles verändert. Ein Teil von mir wäre gern enttäuscht, eine anderer freut sich auf die neuen Türen, die diese Erkenntnis aufstösst. Diese Insel ruft mich dazu auf, meine eigenen Plätze zu finden. Neu zu fühlen, wo die Energie jetzt wirklich schwingt und fliesst.
Hier ist alles in ständiger Bewegung. Das Meer tost in die Buchten und um die Steilküsten herum. Der Sind ist wie ein stetiger Sturm, der alles mit sich nimmt, was nicht fest im Boden verwurzelt ist. Diese Hebriden sind ein Sinnbild für den stetigen Wandel. Eine echte Herausforderung für meine eigenen Wert. Bleibe ich stehen? Oder lasse ich mich mitnehmen? Bin ich im Boden verankert oder schwanke ich und falle?
Jeder Tag an dieser Küste ist eine pure Entdeckungsreise. Ich spüre genau, dass ich diese Herausforderung brauche. Ich brauche den ständigen Wetterwechsel. Die unzähligen Regenbögen am Himmel. Innerhalb von wenigen Minuten erlebe ich hier Wolkenbrüche und strahlenden Sonnenschein. Niemals ist etwas so, wie im Augenblick davor. Ich sitze stundenlang im schützenden Auto - dass vom Sturm hin und herschwankt - und schaue auf langgezogene weiße Brecher, die zum sandigen Ufer rollen. Ich nutze die Sonnenabeschnitte und laufe an der Küste entlang, manchmal aufrecht, manchmal duckend, weil ich sonst mit dem Sturm fliegen würde. Ich entdecke Strände, die aus dem Land meiner Träume zu kommen scheinen. Wunderschöne, weite, weiße Sandflächen, wie im Märchen. Diese Inseln sind für mich pure Schönheit. Ich kann mich nicht satt sehen am ständig wechselnen Licht und nicht satt fühlen an dieser unendlichen Wildheit.
Stück für Stück fühle ich diese Erde. Das Willkommen war nur der erste Schritt, jetzt wird diese Erde zu einem vertrauen Fleck. Zu einer Heimat. Jetzt kann ich den Energielinien folgen, sie fühlen. Und wie am Anfang bleiben die menschlichen Siedlungen für mich ein Störfaktor. Sie passen nicht auf diese Erde. Ich habe nur zwei Häuser entdeckt, die so ähnlich aussehen, wie das, was ich als stimmig fühlen würde, hier. Es sind Häuser aus unbearbeiteten Natursteinen, mit weiten Fensterfronten, und einem grünen, bewachsenem Dach. Hobbithäuser. Sie sehen auf die weite Bucht, auf das Meer und sie fühlen sie verbunden an mit der Erde. Ihr Bild war in mir, bevor mir meine Vermieterin davon erzählt hat, dass es sie wirklich gibt. Ich schaue sie an, und spüre wieder, wie eng alles miteinander verwoben ist. Fasziniert und tief berührt.
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Der letzte Tag. Die Sonne blitzt durch den Himmel und taucht Callanish in ein warmes, leuchtendes Licht. Diesmal habe ich meine Kamera dabei, ich möchte Fotos machen von diesem Ort. Und ich nehme mir Zeit, um noch einmal ganz tief zu fühlen. Ich bin allein mit den Steinen. Zum ersten Mal in dieser Zeit. In diesem Augenblick, entfaltet sich die Schönheit. In diesem Moment fühle ich die Kraft. Die Steine werden zu lebendigen Wesen. Sie stehen für verschiedene Priester, für die Erbauer. Ihre Persönlichkeiten, ihre Eigenarten sind in den Stein gewoben. Wie Botschaften. Es ist erst jetzt möglich, sie zu hören und zu sehen, mit meinem eigenen Zugang zu den Inseln im Herzen. Mit meinen Bildern und Gefühlen zu dieser Küste in meiner Seele.
"Wir folgen dir, wohin auch immer du gehst." Die Botschaft trifft mich wie ein Blitz. "Wir folgen dir." Es ist Zeit, meine heiligen Plätze zu schaffen. Mit jedem Schritt, wohin auch immer ich gehe. Callanish wird bei mir sein. Und nicht nur Callanish. Alle Plätze, die in meiner Seele ihr zu Hause haben. Alle Plätze, die ich berühre und zutiefst in mein Inneres lasse. Alles Orte, mit denen ich mich verbinde. Sie alle sind die ganze Zeit in mir, bei mir, mit mir. Mit ihrer ganzen Schönheit und Kraft. Ich fühle die Steine. Sie sind da. Jetzt, in dem Moment, wo ich schreibe, bin ich gleichzeitig hier und dort. So, wie die Steine. Grenzen, Physik? Das alles spielt keine Rolle. Ich liebe diesen Ort, ich liebe diese Inseln. Und für die Liebe gibt es keine Grenzen. Keine Zäune, keine Mauern, keine Zeit und kein Alter. Liebe verbindet.