Der Heaphy Track ist einer meiner Traumwege in diesem Land. Ich wollte ihn schon lange gehen, aber er war bisher immer einige Längen zu schwer für meine Beine. 75 oder 82 Kilometer, je nach Leseart und Buch führt er vom Golden Bay hinüber an die Westküste der Nordinsel. Und streift dabei alle denkbaren Landschaftsformen. Jetzt sind die Wege sorgfältig neu erbaut und befestigt worden. Bohlenholz trägt die Wanderer über die schlimmsten Schlammlöcher und Brücken warten da, wo früher jeder Regenguss aus Bächen reißende Gewässer gemacht hat. Unpassierbar zu Fuß. 

 

Nur die "Sandflies", die sind auch heute noch da und warten auf unbedeckte Haut. Aber sie stören mich weitaus weniger, als ich es jemals erwartet hätte. Dafür warten auch auf diesem Trail, so weit weg von jeder Zivilisation oder Behausung wieder die Wesen auf mich, denen ich so gern und so gründlich aus dem Weg gehen möchte. Menschen. Andere Wanderer. Sie stören mich ungemein. Weil ich genau hier, in diesem Flecken Natur eine Kraft fühle, in die ich mich ganz fallen lassen möchte. Mit Haut und Haaren. Seele und Herz. Pur und ohne jeden Rückhalt. Weil ich fühle, das es hier möglich ist und das sich dieser Platz eine Energie bewahrt hat, nach der ich auf der ganzen Welt lange gesucht habe. 

 

Der Heaphy Track führt mich direkt in das Zentrum der Kraft. Er führt mich auch wieder in das Zentrum meiner eigenen Hölle. Eine Wiederholung vom Abel Tasman Trail. Noch einmal die volle Breitseite menschlichen Lautstärkewahnsinns. Noch einmal dieses erdrückende Gefühl in einer Hütte aufeinander zu hocken. Ohne entrinnen zu können, dem Lärm und der Unachtsamkeit von 20 Mitwanderern ausgesetzt sein. Weil draußen der Regen gegen die Scheiben prasselt. Diesmal ist die Prüfung noch eine Spur härter. Und sie nimmt mich noch mehr mit. Weil mir die letzte Erfahrung noch in den Knochen steckt. Weil zwischen beiden Wegen nur zwei Tage Pause lagen. 

 

Und gleichzeitig schaffe ich es genau hier, mitten in dieser Welt aus Dramen, Angst und hochgestellten Lautstärkeknöpfen ganz bei mir anzukommen. Ich finde meine Lücken. Ich finde meinen Raum und ich nehme ihn mir auch zum ersten Mal in seiner ganzen Breite und Länge.

Auf diesem Trail nehme ich mir alle Zeit der Welt. Und so beginnt diese Wanderung auch. Mit aller Zeit der Welt. Halb elf bin ich am Ausgangspunkt, aber ich habe nicht vor, loszulaufen. Auch wenn die Sonne vom Himmel brennt und das Blau in den Augen blitzt. Es ist selten, so ein Wetter zu haben in diesem Teil der Welt. Mein Verstand kämpft mit meinem Gefühl und will mich unbedingt zu den ersten Schritten inspirieren. Aber ich weiß, das das nicht funktioniert. Ich brauche die Zeit. Ich brauche die Momente ganz allein mit mir, um vom Abel Tasman zum Kahurangi National Park umschalten zu können. Ich brauche diese Stunden, um wirklich bereit zu sein, für den Heaphy Track.

HIER geht es zum ganzen Text

Ich bin ganz früh auf den Beinen. Der Morgen ist herrlich kühl, der Himmel verspricht wieder einen traumhaften Tag. Die Familie schläft noch und ich packe meine Sachen und gehe den langen Weg bergan. Der Anstieg ist erstaunlich leicht. Und ich kann mich prima konzentrieren, weil es kein ständiges Auf und Ab ist sondern immer nur in eine Richtung geht. Nach oben. Stetig und unverrückbar. Es macht richtig Spass, weil an jeder Ecke neue Ausblicke locken.

 

Kurz nach Mittag bin ich schon auf der Hütte, voller Elan und Energie. Das hat so gut getan, dieses Laufen heute. Und noch bin ich allein hier, in diesem Haus. Es ist eine Prachthütte. Fast niegelnagelneu. Alles vom Feinsten. Sogar Gaskocher gibt es hier. Was für ein Luxus. Ich suche mir mein Plätzchen für die Nacht und klettere auf einem steilen Pfad hinunter zum "Mountain Spa".

HIER geht es zum ganzen Text

Das Morgenlicht kitzelt unter meinen Augenlidern. Ich habe fantastisch geschlafen und bin munter wie ein Fisch im Wasser. Nachdem ich all den Wanderern des Morgens bei ihrem Abmarsch hinterhergeschaut habe würde ich gern die Stille genießen und die Tatsache, das die Hütte gerade einmal mir gehört, aber die neue Rangerin hat heute Großreinemachen auf ihren Tagesplan gesetzt. Schade. Ich hätte gern auf der Terasse gesessen, den Bergblick in mir aufgesaugt und ganz tief in mich hineingelauscht. Dieser Ort ist wie geschaffen, um meine Gedanken zu ordnen und neue Ideen in die Welt zu träumen. Aber nicht, wenn mir die gesamten Matratzen der Hütte den Blick versperren, weil sie dringend mal ausgelüftet werden müssen. Und noch weniger, wenn eine Rangerin im Putzeifer ist. 

HIER geht es zum ganzen Text

Es ist ganz früh am Morgen, als mir die frisch aufgegangene Sonne ins Gesicht scheint. Trotz der Regenankündigung des letzten Abends ist der Himmel noch blitzeblank geputzt. Perfekt zum Aufstehen. Die ersten "Sandfly"-Stiche erinnern mich an diese kurze Auseinandersetzung gestern Abend. Das große Fenster steht weit offen und meine Kollegin ist auch schon aufgewacht und bürstet ihre Haare. Ich bitte sie darum, das Fenster zu schließen, weil mit dem Morgenlicht auch die Insekten hineinkommen, aber sie ignoriert mich vollständig. Ich stehe vor ihr und rede gegen eine Wand aus purer Ablehnung und mehr noch - Verachtung. Ihr Gesichtsausdruck sagt mehr als überdeutlich. "Mädel, du hast doch keine Ahnung. Auf dich höre ich gar nicht." Ich fühle die Wut in mir hochkriechen und schaue mir gleichzeitig interessiert selbst zu. 

HIER geht es zum ganzen Text

Der Wetterbericht für heute verheißt ein Ende des Regens am späteren Vormittag. Deshalb lasse ich das ganze Getümmel des Aufbruchs relativ gelassen an mir vorbeiziehen. Es gibt keinen Grund schon früh in den noch fallenden Regen hinauszugehen. Drei Stunden Laufzeit sind nichts. Also nehme ich mir alle Zeit der Welt und schaue etwas erstaunt dem hektischen Treiben zu. Alle kennen den Wetterbericht. Sie haben die gleichen Worte gehört, wie ich. Aber keiner nimmt sie als Maßstab. Interessant. So war es gestern auch. Und ich kam als Einzige trocken an. Der Neid der Anderen war fühlbar. Wird es heute wieder so sein?

HIER geht es zum ganzen Text

Es ist ein stiller Tag. Ein Tag zum Träumen, Nachdenken, Schreiben, Fühlen. Kleine Wanderungen führen mich zum nächstgelegenen Berg. Einmal. Zweimal. Der Himmel hat den Vorhang ein wenig gehoben und den Blick zum Meer freigegeben. Es ist ein wunderbares Gefühl. Die Überquerung eines Gebirges von einem Meer zum Anderen. Pioniergeist. Entdeckerfreude. Alles ist gleichzeitig da. Dazu der Stolz auf eigenen Füßen diese Strecke gelaufen zu sein. Das Glück der Verbindung mit dem Land....

HIER geht es zum ganzen Text

Der Wetterbericht ist nicht so ganz klar heute. Dazu kommt die Nachricht der Rangerin, das einige Flüsse sehr hochwasseranfällig und damit schwer passierbar sind. Fest steht nur: es hat geschüttet heute Nacht. Eine Unwetterwarnung hängt in der Luft. Aber scheinbar hat sich dieses Unwetter entschieden, schon nach Mitternacht durch die Wolken zu toben. Gewitter und Wolkenbruch. Wie wird der Weg wohl ausschauen? Lassen sich die Flüsse überqueren?

 

Ich starte hinein ins Ungewisse. Ganz, ganz früh, weil der nächste Sturm für heute Nachmittag angesagt ist. 

HIER geht es zum ganzen Text

Der letzte Tag. Traurigkeit vermischt mit purem Enthusiasmus. Freude über jeden gegangen Schritt neben ein wenig Wehmut, weil die Schritte heute enden werden. 

 

Es ist wieder früher Morgen, als ich loslaufe. Noch tröpfelt es ab und zu, mal weniger mal mehr, doch bald reißt der Himmel auf und schenkt mir sein schönstes Lächeln. Die Sonne bescheint ein Wunderland. Dschungelüberdeckte Steilküste direkt am Ozean. Die Brandung pulsiert im Einklang mit meinen Herzen. Und jeder Moment schenkt mir Ausblicke aus dem Paradies. 

HIER geht es zum ganzen Text

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0