La Réunion - die Einheit, die Vereinigung. Ja, das ist es. In jeder Beziehung. Hier vereinen sich Himmel, Wasser, Feuer und Berge zu einer wundervollen Symphonie. Hier ist der Vulkanismus genauso zu Hause wie die schönsten Wasserfälle. Badepools und Hitze gehen Hand in Hand. Sattes Grün, Lavawüste, Traumstrände und ausgebrannte Erde - alles existiert gleichzeitig. Afrika, Frankreich, Indien, Muslime und China vermählen sich. Die Düfte des Äquators tanzen in der Nase um die Wette. Und die Geschmäcker der Welt finden ihre gelungende Verbindung. Niemals habe ich Vanillie mehr lieben gelernt als hier. Nie habe ich bessere bekommen. Und nirgendwo anders würde ich wohl Ente mit Vanillie essen...
Alles erzählt von der vulkanischen Geschichte. Jeder Flecken des Landes ist pur aus dem Meer geboren worden und noch immer roh geschliffen. Die Berge sind steil und unwegsam. Eine Wanderung durch das Inselinnere gleicht einem Hindernisparcours. Hier ist nichts gerade. Es geht nur steil hinauf und steil wieder hinunter. Die Sonne brennt. Der Weg zur nächsten Siedlung ist weit. Das Wetter ändert sich in Windeseile. Doch immer bleibt es warm und subtropisch. Nur auf dem höchsten Gipfel, dem Piton de Neige, auf über 3000 Metern im Morgengrauen kommt die Kälte herangekrochen und zieht durch jede Schutzschicht. Ein Vulkan ist bis heute aktiv. Der Piton de la Fournaise bricht alle paar Monate auf's Neue aus und vergrößtert die Insel Stück für Stück. Dann kann durchaus auch die gesamte Ringstraße auf Monate gesperrt sein. Auch das gehört hier zum Alltag.
In den Tälern und Städten ist das bunte, laute Leben zu Hause. Der gesamte Ring jenseits der Berge im Zentrum von La Réunion ist dicht besiedelt. Sehr, sehr, sehr dicht. Und jeder hat ein Auto. Stau's sind Normalität. Doch mit der Enge hat hier niemand ein Problem. Die Menschen lieben das Beisammen sein. Manchmal scheint es, als wäre hier alles ein Fest. Die Sonntage gehören den Ausflügen mit der Familie. Dann ist keiner der vielen Picknickplätze leer. Die gesamte Insel strömt bei Hühnchen und Carri zu den schönsten Orten. Dann ist da Musik und Tanz und Lebensfreude pur.
Doch auch in der Woche kann es schwer sein, ein einsamens Plätzchen zu finden. Denn da gibt es ja noch die vielen Touristen, die meist aus Frankreich hierherströmen, in das Paradies. Auch auf den Trekkingpfaden durch die drei Cirques im Inselinnern kann es sehr laut und sehr eng werden. Die Cirques sind eingestürzte Vulkankegel, die in zu tiefen Schluchten geworden sind. Fast unzugänglich und im Fall von Mafate sogar nur zu Fuß oder per Hubschrauber zu erreichen. Das macht den Reiz aus. Hier zu wandern ist etwas ganz Besonderes. Ein Netz aus Wanderwegen durchzieht die Cirque's. Keiner davon ist auf die leichte Schulter zu nehmen. In den Orten locken kleine, hübsche Gite's zum Übernachten. Es gibt kaum einen Ort, an dem es sich schöner und ruhiger schlafen lässt, vorausgesetzt, es gibt keine Schnarcher im selben Zimmer.
Die Stille endet pünktlich um sechs. Dann beginnen die Hubschrauber zu fliegen. Denn am Morgen ist der Himmel noch völlig klar. Die Wolken kommen erst gegen Mittag. Deshalb ist morgens Hoch-Zeit für die Lieferungen der Waren und Menschen. So ein Hubschrauber macht viel Lärm. Vielleicht sogar mehr als eine Straße. Doch die Leute in Mafate bestehen auf der Straßenlosigkeit und ich liebe sie dafür. Denn das macht diesen Platz zu etwas ganz Besonderem. Und nicht jeder nutzt die Hubschrauber. Denn sie sind teuer. Ich habe immer wieder Menschen gesehen, die ihre Einkäufe tatsächlich noch auf dem eigenen Rücken in den Kessel bringen. Was locker 1-4 Tagesmärsche bedeutet - pro Weg wohlgemerkt. Und jeweils bis zu 1000 Höhenmeter. Das ganze wird lächelnd absolviert. Ich erinnere mich an diesen übers ganze Gesicht strahlenden älteren Mann, der an der kleinen Teebar im Dschungel seine Last absetzte und einen fröhlichen Small-Talk begann. Er ist glücklich, einfach glücklich, weil er am Leben ist. Und genau das hat er uns auch erzählt. Seine Augen strahlten. Er dankte Gott. Und ich war hin und weg. Am Morgen ist der Himmel noch völlig klar. Die Wolken beginnen gegen Mittag aufzusteigen. Dann kann sehr schnell alles vollkommen zuziehen.
Die Menschen hier sind eine wundervolle, bunte Mischung. So, wie ihre Sprache. Eine bunte Mischung aus französisch und Kreol. Alle Kulturen leben relativ friedlich zusammen. Hinduismus, Christentum und chinesische Tempel existieren in engster Nachbarschaft, ohne das es Probleme gibt. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Tiefer geschaut, geht es nicht ganz so reibungslos zu. Auch da existieren Unterschiede, auch da ist nicht jeder gleichwertig. Doch im Vergleich zum Rest der Welt, geht es auch hier fast paradiesisch zu.
Ja, es gibt auch hier Probleme. Große sogar. Armut. Hohe Arbeitslosigkeit. Abhängigkeit von Frankreich. Eine Zweiklassengesellschaft zwischen Einheimischen und Franzosen aus dem Mutterland. Extrem hohe Preise. Und ein Verharren in der Position eines Bittstellers. Das wirkliche eigene Selbstbewußtsein wird noch eine Weile mit der Entwicklung brauchen. Ein Profil, das der Unverwechselbarkeit der Insel gerecht wird, lässt auf sich warten. Aber die Ideen sind schon am Sprießen. Die Kreativität ist da. Schlummernd, wartend. Vielleicht wird sie einmal genauso explodieren, wie der Vulkan.
Bei allen gegensätzlichen Eindrücken - spätestens seit ich hier mit Walen schwimmen konnte, bin ich unendlich dankbar, das es diese Insel gibt. Die Buckelwale kommen jedes Jahr, um hier ihre Jungen auf die Welt zu bringen. Dann ist es praktisch sicher, sie auch zu sehen. Doch mit ihnen zu schwimmen, das geht nur hier und an zwei weiteren Orten in der Südsee. Es ist ein Erlebnis, das ich niemals vergessen werde. Niemals.
Ob ich wiederkommen werde? Ich weiß es nicht. Ich habe die Zunahme des Tourismus verfolgen können. Ich habe die Schattenseiten realisiert. Ich habe den Müll gesehen, der achtlos an den schönsten Stellen liegt. Weggeworfen von den Gästen. Ich habe das Ringen um das schönste Foto am Piton de Neige erlebt. Und ich habe den Trubel in den Städten hautnah mitbekommen. Es ist mir mittlerweile zu voll geworden hier. Doch in meinem Herzen bewahre ich all' die Bilder. Und tauche immer wieder auf's Neue in den herrlich kalten Pool am Fuße des Wasserfalls...