Überblick

Ich bin den Overland Track zweimal im Abstand von dreizehn Jahren gegangen. Gefühlt hat sich in dieser Zeit alles verändert. Das erste Mal war ich im Herbst hier. Schnee lag auf den Berggipfeln, die Tage waren angenehm frisch. Alles war in einer Balance. Und ich fühlte mich fast allein. Diesmal ist es Hochsaison. Tiefster Sommer.  Januar. Es ist heiß und trocken und gefüllt mit Menschen. Diesmal begegne ich auch giftigen Schlange und mache Bekanntschaft mit Blutegeln.

 

Der Track führt mich quer durch die tasmanische Wildnis. Jenseits jeder Siedlung. Je nach Gehweise verläuft der Weg über 65 oder 80 Kilometer in einem ständiges Wechselspiel von steilen Anstiegen und genauso steilen Gegenstücken. Er pendelt zwischen 700 Höhenmetern und knapp 1300 hin und her. Alles, wirklich alles muss ich auf meinem Rücken über die vielen Wurzeln, Steine und Pässe transportieren. Zelt, Schlafsack, Isomatte, Kocher, Gas, Essen und selbst das Klopapier. Denn Australiens Trails und Hütten kennen keinen Luxus. Mehr als das Überlebensnotwendige gibt es nicht. Das ist Pioniermentalität in Reinform. 

 

Der Trail geht normalerweise über sechs Tage. Doch selbst die sind knapp bemessen, denn es existieren viele Extra-Ziele unterwegs. Berggipfel und Wasserfälle locken. Man könnte sehr viel länger hier verbringen und dann auch mehrere Tage an einem Ort bleiben, um auch innerlich wirklich anzukommen. Die meisten Mitwanderer, die ich treffe, versuchen die Strecke jedoch in vier Tagen "abzureißen". Sie sprinten praktisch von Ort zu Ort und nehmen dabei auch noch die wichtigsten Berggipfel mit. 

 

Ich jedoch habe mich für Langsamkeit entschieden. Ich möchte alles wahrnehmen und tief auf mich wirken lassen. Ich bin hier, um mich mit der Natur zu verbinden, sie wirklich zu spüren und die Seele dieses Ortes kennenzulernen. Deshalb plane ich dreizehn Tage ein. Am Ende wird es kürzer, weil ich genug habe. Genug von überfüllten Hütten. Genug vom Getriebensein der Mitwanderer. Einfach genug.

Der Bus von Devonport taucht unmittelbar hinter der Ortsgrenze in eine Welt der Trockenheit. Eukalyptusbäume soweit mein Auge reicht. Gelbe Wiesen. Ausgedörrter Boden. Ich bin geschockt und betrachte dieses Land mit staunendem Blick. Nichts erinnert mich an das Tasmanien in meinem Kopf. Alles fühlt sich fremd an. Vollkommen fremd. Mein Gefühl fährt Achterbahn und versucht mit aller Macht, zwei diametral entgegengesetzte Bilder in eines zu stopfen. Es gelingt mir nicht. 

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Das hier geht nicht im Schnelldurchlauf. Es ist unmöglich, diesen Weg, die Landschaft und die Erde zu erfassen, die sich so anders anfühlt, als alles, was ich kenne, ohne viel, viel, viel Zeit. 

 

Dieser Ruhetag ist dringend nötig. Aber innerlich bin ich noch unschlüssig an diesem Morgen. In mir wetteifern die Stimmen des Tempo's mit denen der Muße. Ein Teil von mir möchte gern auf den Berg über meinem Kopf steigen, der andere plädiert für jeden Menge Ruhe und kleine Schritte. Die Menschen um mich herum sind in fliegender Hast dabei, die Zelte abzubrechen. Fast jeder ist am Packen. Bis auf einen Mitwanderer, der in der Hütte geschlafen hat. Wir sind gestern noch ins Gespräch gekommen und auch er lässt sich Zeit. Zwölf Tage sind in seinem Plan, aber er will auch auf jeden Berg und hinein in ein Seitental. Geruhsam frühstücken wir, kochen unser Wasser und schauen den Leuten zu. Zwischendurch gehe ich auf die freien Zeltplätze und suche nach einem besseren Ort, als heute Nacht. 

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Tag 3 - Waterfall Valley und Barn Bluff

Diesmal lockt mich der Berg. Früh am Morgen, alles ist noch kühl, frisch und wunderbar leicht, steige ich nach oben. Aber jeder Schritt erzählt mir auch davon, das mein Körper mit der Heilung beschäftigt ist und eigentlich ganz andere Dinge im Fokus hat, als Kopf und Willen. 

 

Der Weg führt zurück, fast eine Stunde bis zum Abzweig zum Barn Bluff. Der Ausblick ist wie eine Erlösung nach dem Tag im Tal. So anheimelnd und schützend das gestern auch war und so dringend nötig - mein Herz sehnt sich nach dieser Weite. Sie ist der Grund, warum ich hier bin. 

 

Aber des Zwiespalt geht weiter. Denn nach einem gut befestigten Stück Trail geht es jetzt über Stock und Stein, steil hinauf. Alles ist überwuchert und manchmal finde ich kaum einen Platz für meine Füße. Die Luft wird stickig. Der Morgen macht einem heißen Tag Platz und mein Schweiß hat Mühe, dem Körper die richtige Portion Kühlung zu verschaffen. Mein Finger pocht, ich bewege mich an der Grenze. An einer sehr feinen und sehr deutlichen Grenze zugleich. 

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Es wäre schön, die Morgenkühle auf die Wanderung mitnehmen zu können. Aber das hieße, in  Hektik ausbrechen. Und es gibt genügend Menschen um mich herum, die sie jetzt schon im Überfluss verbreiten. In der ersten Dämmerung beginnt die Geschäftigkeit, obwohl es bei dieser kurzen und einfachen Strecke keine Notwendigkeit gäbe. Gar keine. Der Himmel ist klar, das Wetter wird wieder fantastisch. Das Stimmengewirr um mich herum lässt den Schlaf ins Nirwana fliegen und mich etwas grumpelig aus dem Zelt kriechen.

 

Ich habe noch die Stille von gestern Mittag im Ohr. Diesen Frieden hier unten am kleinen Bach. Und ich möchte mich mit dieser Stille vom Tal verabschieden. Nicht mit dem Lärm um mich herum.

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Die längste Etappe wartet heute auf mich. Es fällt mir schwer, weiterzugehen, weil mein Herz so sehr mit dieser Hochebene verwoben ist. Die Erlebnisse von gestern klingen wie eine große Symphonie nach. Ich spüre die Präsenz der Aborigines und ein Teil von mir würde liebend gern den ganzen Tag dort oben bei der Steinformation mit ihnen meditieren anstatt weiterzugehen. Aber in mir ist auch eine Stimme, die zum Gehen einlädt, weil hier alles getan  und alles gefühlt ist. Eine Stimme, die mir sagt, das diese Heilung weiter ins Land getragen werden will. Schritt für Schritt. Mit mir. 

 

Deshalb gehe ich. Hinein in einen traumhaft schönen Tag. Wieder weit hinter fast allen anderen Wanderern, die in Ehrfurcht vor der langen Etappe teilweise schon um sieben losgelaufen sind. 

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Das dürfte Rekord sein. So früh, wie diese amerikanischen Mädels in meinem Zimmer, ist noch nie jemand aufgebrochen. Sie wuseln und rascheln und kramen und reden. Und dann ist das noch die ältere Frau, die gestern voller Elan und glänzender Augen vom Mt. Ossa zurückgekommen ist. Körperlich am Ende, aber so mit Adrenalin überflutet, das sie keine Signale mehr gehört hat. Ihre Knie stecken in Bandagen, sie humpelt, aber auch sie bricht in der Morgendämmerung auf. Ein Wunder, das es sie so lange im Bett gehalten hat. Die ganze Nacht hat sie ständig ihre Uhr überprüft, obwohl der ihr Wecker zuverlässig auf ca. 6:30 Uhr gestellt war. Hallelujah.

 

Ich beobachte den Aufbruch und drehe mich gemütlich räkelnd im Bett. Es ist richtig schön, alle gehen zu sehen. Es ist schön, so ganz in der Ruhe zu leben, während rundherum der Sturm tobt.

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Es war so eine herrliche Nacht - allein in diesem Raum. Ganz mit mir. Aber trotz der Wände haben mich die nervösen Energien der eifrigen Gipfelstürmer erreicht. Im Schlaf übersetzt, formen sie sich in eigenartige, verstörende Träume, die mich herzklopfend zurücklassen und mit denen ich eigentlich nichts anfangen kann. Sie gehören nicht zu mir. Die flirrende Hektik des Morgens, das Türenschlagen, das Reden - alles ist gedämpft, aber nicht unhörbar. Ich bleibe liegen, ich brauche Zeit, um wieder in mir anzukommen und es fällt mir nicht leicht. 

 

Ich habe mich noch nicht entschieden, wohin meine Reise heute geht. Die Berge locken mich. Dieser wunderschöne Mt. Oakleigh, Mt. Ossa. Ja, ich hätte Lust auf den Gipfel, irgendwie. Aber irgendwie auch nicht. Etwas in mir hat sich komplett verändert. Dieses Gefühl, mir selbst etwas beweisen zu müssen, mit einer Bergbesteigung, ist vollkommen verschwunden. Ich habe keinerlei Lust mehr, einem rigiden Zeitlimit folgen zu müssen, nur um dort oben zu stehen. Ich habe keine Lust, für ein Ziel, einen Teil des Weges aus meiner bewußten und tiefen Wahrnehmung auszusperren.

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Es ist wunderbar, so weit abseits, im Zelt zu schlafen. Wunderbar, die Stille zu geniessen, während die Energie des emsigen Aufbruchs nur in Fetzen zu mir dringt. Himmel, die Hütte kann so herrlich sein, am Morgen, wenn alle bereits gegangen sind. Ganz allein in diesen alten Holzbohlenwänden. Mit den Erinnerungen unzähliger Wanderungen gefüllt, die unsichtbar, aber deutlich fühlbar in jeder Faser gespeichert sind. Ich geniesse mein heißes Wasser, die beiden Müsliriegel zum Frühstück und das Bad im tiefen Frieden. Mehr brauche ich nicht, zum glücklich sein. 

 

Auch heute gibt es zwei Möglichkeiten, den Trail auszuweiten. Zwei Wasserfälle locken - jeder ca. eine Stunde Zusatzweg - mit steilem Auf und Ab. Ich habe noch nichts entschieden, aber ich liebe Wasserfälle über alles. In diesem Augenblick noch viel mehr, weil sich jedes Stückchen Haut auf meinem Körper nach einem Bad sehnt. Nach einem kühlen, frischen Pool aus klarem Wasser, in das ich bis zu den Haarspitzen eintauchen könnte.

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Eine eisige Nacht liegt hinter mir. Ich habe nie so schlecht geschlafen, wie diesmal. Aufwachen - mehr anziehen, Toilette, schlafen - aufwachen.... Mir tut alles weh, das rechte Bein hat die Matratze satt, mein Bauch sehnt sich nach etwas Handfesterem als dehydrierter Nahrung und Trockenobst und mein Kopf hat viele Stunden lang versucht, eine Entscheidung zu fällen. Er ist so müde wie ich. Soll ich heute aufhören oder nicht? Soll ich diesen Abstecher ins Pine Valley machen, von dem alle sooooo sehr geschwärmt haben oder die Wanderung mit einer Bootsfahrt beenden? Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.

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Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0