Tag 4 - Waterfall Valley zum Lake Windermere

7,75 Kilometer ohne Abstecher

3-4 Stunden Laufzeit

190 Meter Anstieg und 210 Meter Abstieg

Abstecher Lake Will

ca. 1 Stunde Laufzeit

ca. 3 Kilometer

Es wäre schön, die Morgenkühle auf die Wanderung mitnehmen zu können. Aber das hieße, in  Hektik ausbrechen. Und es gibt genügend Menschen um mich herum, die sie jetzt schon im Überfluss verbreiten. In der ersten Dämmerung beginnt die Geschäftigkeit, obwohl es bei dieser kurzen und einfachen Strecke keine Notwendigkeit gäbe. Gar keine. Der Himmel ist klar, das Wetter wird wieder fantastisch. Das Stimmengewirr um mich herum lässt den Schlaf ins Nirwana fliegen und mich etwas grumpelig aus dem Zelt kriechen. Ich habe noch die Stille von gestern Mittag im Ohr. Diesen Frieden hier unten am kleinen Bach. Und ich möchte mich mit dieser Stille vom Tal verabschieden. Nicht mit dem Lärm um mich herum.

 

Endlich. Endlich ist sie da und umhüllt mich und lässt mich wohlig in dieser kleinen Hütte sitzen, das letzte heiße Wasser trinken. Ich gehe noch einmal über den Platz, denke an den Finger und seine Botschaft und gehe - ganz langsam. Ganz bewußt. Und sehr, sehr achtsam. Heute wartet ein Tag puren Genusses auf mich. Himmlisch weißer Sandstrand, kaltes, klares, doppeltes Badevergnügen in zwei herrlichen Seen (ohne Blutegel) und fast den gesamten Tag herrlich weiter Horizont. 

 

Den ersten See - den Abstechersee - habe ich für mich allein. Alle anderen Leute sind schon weitergesprintet. Nackt kann ich im Strand liegen, ins Wasser hüpfen, die Schauder an mir heruntergleiten lassen und dem Gipfel des Barn Bluff beim Spiegeln zuschauen. Natürlich sind auch hier die Fliegen und Mücken, aber ich bleibe einfach sitzen. Lange. Richtig, richtig lange. Bis ich ordentlich durchgekühlt bin. Der frische Wind lässt mich fast frösteln und das ist gut so, denn ich habe keinerlei Schutz vor der Sonne hier oben. Nur meinen Hut und die Creme. Das war's. Und der Himmel ist strahlend blau bis zum Horizont. 

 

Mein Blick kann sich kaum lösen von dieser Linie zwischen Erde und Himmel. Sie katapultiert mich direkt in die amerikanische Prärie. Sie lässt mich zu den schottischen Hebriden und zum Land direkt nördlich vom Hadrianswall reisen. Sie ist mir so vertraut, wie meine Haut und so nah, wie mein Herz.

 

Das hier ist auch das Land der Traumzeit. Es ist das Land, in dem ich die Seele der Aborigines mit Händen tasten kann. Sie warten auf mich. Dort vorn, bei der Felsformation. Endlich. Die Energie ist so unmittelbar und stark wie ein Stromstoß aus der Steckdose. Hier ist ein Kraftplatz. Hier ist ein Zentrum. In einem Land, das ich bisher nicht fühlen konnte. Hier kann ich hineintauchen in dieses schwarze Loch der Bodenlosigkeit, das mich seit Tagen verstört. Hier werde ich die Wurzeln fühlen, die Australien so sehr verleugnet.

 

Kaum sitze ich, beginnen die Tränen zu fließen. Der Kontakt zu den Menschen, die hier seit Jahrtausenden gelebt haben ist unmittelbar. Ihr Schmerz auch. Ich habe einige Geschichten gelesen, nur einige. Mehr braucht es auch nicht, denn ich bin jetzt mittendrin in ihrer Vergangenheit. In der Vertreibung, der Jagd, dem Morden. In der Verleugnung ihres Mensch-Sein, dem abgrundtiefem Gefühl der Wertlosigkeit. Diese ganze Insel hat diese Erinnerungen gespeichert. Jeder Baum, jeder Stein trägt ein Stück davon in sich und strahlt es in diese Welt hinein.

 

Ich weiß, wie präsent dieses Denken bis heute ist. Ich kann es in den Gesprächen deutlich spüren. Ich kann es auch in dem Versuch fühlen, nicht darüber zu reden. Auszuweichen. Die Aborigines einfach wegzudenken. Selbst die Geschichtsbücher tun sich schwer, eine Balance zu finden.

 

Aber - dieser Kontinent braucht seine ersten Bewohner. Die Erde braucht sie. Niemand ist mit diesem Boden, mit dieser Schöpfung so unmittelbar verbunden wie die Aborigines. Sie sind eins mit ihrem Land. Absolut verschmolzen. Sie haben diesen Ort ins Leben geträumt und ihre Träume halten ihn lebendig.

 

Die Vergewaltigung eines Teiles heißt auch die Zerstörung des Anderen. Deshalb fühlt sich diese ganze Insel für mich so tot an. So stumpf und leer. Deshalb habe ich hier ein Gefühl von Taubheit und Lähmung. Die Seele ist getrennt vom Körper. Das Herz steht still. Ohne Aborigines ist dieses Land im Dämmerschlaf. Und kein moderner Schnickschnack kann daran irgend etwas ändern. 

 

Doch jetzt kommen sie zurück. In diesem Augenblick. Ich kann sie sehen. Sie sind so lebendig, wie die atmenden Wesen meiner Realität. Es braucht nichts weiter als wirkliches Da-Sein, die Bereitschaft zu wirklich zu fühlen und alles zuzulassen, um die Wirklichkeit zu verändern. Hier ist es die Offenheit meines Herzens und das Gefühl der Verbundenheit mit den Aborigines, das die Realität ins Fliessen bringt. Wie Aquarellfarben im Wasser. Die Gegenwart wandelt sich vor meinen Augen.

 

Die Aborigines kommen wieder. Zurück an ihren heiligen Platz. Sie schauen mir ins Herz so wie ich in ihres. Es ist tiefste Kommunikation und sachtestes Umarmen. Es ist Seelenberührung und Heilungstanz. Es ist der Gesang der Stille und der Duft tiefster gegenseitiger Achtung. Der Himmel steht weit offen und die Erde trinkt unsere Liebe in großen Zügen. Die Liebe zum eigenen Wesen und zu dieser Welt. Die Liebe zueinander und dieses unwandelbare Gefühl der Verbundenheit.

 

Ich liebe diese Menschen. Ich liebe dieses Land. Und jeder Moment an diesem Ort ist für mich eine Ehre und ein Geschenk. Aborigines sind jetzt überall. Aus allen Zeiten, aus allen Teilen dieser Insel, aus allen Teilen des Kontinents. Es ist Wiedererkennen und Feiern. Es ist Freude und strahlendes Glücklichsein. Ich weiß, das auch sie von jetzt an immer an meiner Seite gehen werden. Brüder. Schwestern. Eine Menschheit. Hand in Hand.

 

Lächeln. Wissen. Ich komme noch einmal hierher, an diesem Abend. Die Wächter stehen auf dem Felsen und strahlen bei meinem Kommen. So, wie dieser fantastische Sonnenuntergang. So, wie der ganze rotbeleuchtete Himmel. Pures Feuerwerk am Ende eines großen Erwachens.

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0