Seit ich diesen wunderbaren "Robin Hood Film" mit Kevin Costner gesehen habe, in dem er an der Kreidefelsenküste von Dover landet und seine Hände in der heimatlichen Erde vergräbt, wollte ich auch dort auf "meiner" Insel ankommen. Nur dort. So, wie man richtig ankommt in England. So, dass man das Ankommen fühlen kann. Langsam. So, das mein Gefühl hinterherkommt. Das geht nicht in einem Tunnel, in dem ich weder spüre noch sehe, wo ich wirklich bin.
Der Himmel ist mit mir ;-) Die Sonne lacht am 20. September, als ich von Calais aus in See steche. Das andere Ufer ist schon zu sehen. Die Kreidefelsen winken hinüber. Sie sind ein fantastischer Anblick. Ich habe nur wenige Wochen vorher die Kreidefelsen von Rügen näher kommen sehen, auf der Fähre von Schweden, aber das hier fühlt sich völlig anders an. Englisch. Einfach richtig englisch. Besser kann ich es nicht beschreiben.
Sie kommen näher und näher. Und in mir verdichtet sich das Gefühl, diesen Ort zu kennen. Das Gefühl, hier schon einmal ans Ufer gegangen zu sein. Ich werde willkommen geheißen. Von einer Erde, einem Land, dass meine Heimat war, in einer anderen Zeit. Und dass mich einlädt, es als Heimat zu sehen. Wieder.
Als ich diesen Gedanken zulasse, bin ich plötzlich umringt von Wesen. Vom "kleinen Volk". Ja, ich kenne auch sie. Ich kenne euch. Sie werden mich begleiten, so lange ich hier bin.
Vor mir steht ein junger Mann. Er kniet nieder.
"Willkommen, meine Königin!"
Königin?
Ja, Königin.
Diese Worte berühren etwas tief in mir.
Wie ein Hauch, eine Erinnerung.
Tränen, Tränen, Tränen.
Das hier ist mein Land.
Willkommen, zu Hause.
Einen Tag später stehe ich oberhalb von Eastbourne an der Steilküste, an den Kreidefelsen. Beachy Head. Und schaue über dieses Land, dass meines sein soll und das mir nach den ersten Eindrücken vollkommen fremd erscheint. Die Landschaft ist vertraut. Die Form der Erde ist vertraut. Die Bäume fehlen. Alles wirkt kahl, ungeschützt, entblößt.
Und ich bin geschockt von der Menge an Menschen, die hier jetzt leben.
Es gibt keine Handvoll Boden, der nicht irgend jemandem gehört. Hecken, Zäune bestimmen die Bilder. In den Städten ist alles dicht gedrängt. Die Häuser erscheinen mir zwar malerisch, aber bei näherem Hinschauen als hoffnungslos verwinkelt und - rein ökologisch betrachtet - katastophal. Ich kann hier kaum fahren, ohne in einen Stau zu geraten. In mir brodelt es. Das soll England sein? Mein England? Das ist der pure Wahnsinn! Ich verstehe nicht, wie Menschen so leben können. Ich verstehe nicht, wie sie das akzeptieren können. Diese Enge, dieses Gewusel und den mörderischen Verkehr. Versteht denn niemand, dass diese Insel chronisch überbevölkert ist?
Ich lasse meinen Gefühlen freien Lauf, an einem Platz, der als einer der schönsten Englands zählt. Ja, ich geniesse die Aussicht. Es ist schön. Aber ich sehe auch den Müll, den Menschen auch hier im Naturschutzgebiet bedenkenlos fallenlassen haben. Es ist, als hätte ich den selektiven Blick, der alle negativen Aspekte sofort wahrnimmt doch darüber den Blick auf die Schönheit nicht vergisst.
Ich sitze über diesem grünen, welligen Hügeln und schaue vom Meer weg, hinein ins Land. Dann kommen die Tränen. Es sind Tränen der Verzweiflung, des Schmerzes. Tränen, des Erkennens, was mit diesem Land geschehen ist. Wie sehr es verletzt wurde, verändert, verformt und geschlagen. Es zerreißt mich fast, das alles auf einmal zu fühlen. Es zuzulassen, dass es durch mich hindurch fliessen kann. Zuzulassen, dass ich es wahrnehme. Ohne Schönheitskorrektur. Nackt. Ungeschminkt. Real. Ich höre die Schreie der Erde. Den Ruf nach Änderung. Bitte.
Drei Wochen später, nach einer Reise über die ganze Insel, bin ich wieder in Dover. Ich war nur wenige Tage davon in England. Es war nicht möglich für mich länger zu bleiben. Der Schmerz dieser Erde war für mich zu stark, um es auszuhalten.
Wieder grüssen mich die Kreidefelsen im hellsten, klarsten Sonnenschein. Strahlend blauer Himmel. Wieder fühle ich das kleine Volk um mich herum. Wieder ist da der junge Mann, der vor mir niederknien will. Ich halte ihn zurück.
"Ich danke dir für deinen Wunsch, in mir die Königin zu sehen. Aber, ich lehne diese Ehre ab. Ich möchte nicht deine Königin sein. Ich möchte nicht die Königin dieses Landes sein. Nicht mehr. Du brauchst keine neue Königin, um hier etwas zu verändern. Du bist die Kraft. Jeder auf dieser Insel ist die Kraft. Es wird euch niemand aus der Misere retten. Ihr selbst seid es, die alles verändern könnt und werdet."
Tief in mir fühle ich die Wahrheit dieser Worte. Und ich weiß - das ist es, was ich den Menschen überall sagen möchte, genauso, wie mir selbst. Immer und immer wieder:
"Warte nicht auf einen Retter.
Es gibt niemanden,
der dich aus deinem Sumpf herausführt.
Die Zeit der Helden und Mächenprinzen ist vorbei.
Du bist die Kraft.
Du selbst bist alles,
was du dir immer von einem Anderen erträumt hast.
Sei, wer du wirklich bist.
Sei dein Traum!"