Es könnte so schön sein hier. So traumhaft schön. Diese Küste der südlichen Algarve ist ein Gedicht aus rotem Stein. Mein Auge kann sich kaum satt sehen, als ich von Bucht zu Bucht laufe. Zwischen Carvoeiro und Albufeira. Die versteckten kleinen Strände laden an jeder Ecke zum Verweilen ein. Die Wellen tosen gehen die Felsen und bauen minütlich neue Formen. Die Luft ist gefüllt mit den Gerüchen von Eukalyptus und Pflanzen, die mir noch vollkommen fremd sind. Aber es riecht gut. Soooo gut.
Aber je weiter ich vorankomme, umso mehr werde ich auch mit dem anderen Gesicht dieses Märchens konfrontiert. Hier möchte jeder sein. Das möchte jeder geniessen. Und bitte am besten in der aller-, allerersten Reihe. Eine Reihenhaussiedlung folgt der nächsten. Weiße Armeen krönen die schönsten Plätze. Manchmal in der geballten Ladung englischer Vorstädte, manchmal leicht aufgelockert. Je nach Gedlbeutel halt. Es gibt auch diese ganz noblen und unübersehbar teuren Häuser, die wirklich Honigschleckerlagen ihr Eigen nennen. Samt gepflegtem Rasen und Pool.
Ich laufe vorbei. Immer weiter. Bis mich, an einem Felsvorsprung der Anblick von Armacao de Pera überfällt. Hochhaussiedlungen so weit das Auge reicht. Die kleine Kapelle, zu der ich will, wird davon vollkommen vereinnahmt. Ich hätte nicht gedacht, das sie so nah an diesen Ungetümen aus Beton dahinvegetiert. Sie ist auf die Entfernung kaum auszumachen. Fast vergeht mir jede Lust, näher zu rücken.
Ich muss mich erst einmal setzen. Und diesen Anblick von Weitem auf mich wirken lassen, bevor ich irgend etwas anderes entscheiden kann. Möchte ich wirklich näher? Möchte ich wirklich in dieses Energiefeld hinein? Will ich mich dem aussetzen? Es sind keine Menschen hier. Ich bin allein. Mit einer Natur, der ich schon anfühlen kann, das sie sich in sich selbst zurückgezogen hat. Diese letzte Bucht hat ihre Schönheit aufgegeben. Der Boden ist schon mit den Bruchstücken von Ziegeln gepflastert. Alles fühlt sich so an, als würde hier sehr, sehr bald alles zugebaut sein. Die Planungen der Häuser lassen sich mit Händen greifen. Und die ganze Energie um mich herum ist kurz vor dem Herzstillstand. Der Atem angehalten. Eine richtige Glocke aus Dunst liegt über dem Land. Ich lasse es wirken.
Dann kommen dir Tränen. Unmittelbar und mit voller Wucht. Tränen der Verzweiflung. Tränen des Schmerzes und Tränen einer unendlich tiefen Traurigkeit. Es ist die Traurigkeit einer Erde, einer Natur, eines Landes, das nicht gesehen und nicht gehört wird. Es ist der Schmerz einer Erde, die nicht geachtet wird. Es ist das Gefühl von Vergewaltigung. Das Gefühl der benutzt werdens ohne jeden zweiten Blick. Das Gefühl der Oberflächlichkeit einer ganzen Welt. Das Gefühl der Trennung. Trennung der Menschen, die hier planen und bauen von dem Planeten, der sie nährt und trägt. Trennung von den eigenen Wurzeln. Trennung der Herzen. Trennung der Seelen. So ein Schmerz. So ein tiefer Schmerz flutet durch mich. Es schüttelt mich. Spasmen. Alles verkrampft sich in mir. Bis in einer neuen Welle wieder ein Meer der Tränen aus meinen Augen fließt.
Ewigkeiten vergehen. Ewigkeiten, in der alle Energie des Landes durch mich hindurchfließt. Dankbar dafür, endlich ein Ventil gefunden zu haben. Dankbar dafür, das endlich jemand fühlt, wo sonst nur Starre und Kälte existiert. Dankbar für meine Offenheit, die mich zum Kanal werden lässt, für das, was sonst nicht mehr fließen kann. Dankbar für die Verbindung, die ich nicht scheue.
Und dann fühle ich es. Eine sachte Berührung. Seelenkontakt. Die Senhora erscheint. Sacht, zart, wie ein Frühlingshauch. Kaum sichtbar. Weiß, licht, fast durchsichtig. Ich fühle die Verbindung wie ein Seidenband. So unscheinbar, wie der gewebte Faden der Spinnen, aber doch so fest und klar, wie alles, was meine Augen in dieser Welt sehen können. Ich fühle ihr Lächeln. Die Erleichterung. Das Versprechen. Wir reichen uns die Hände. Energien verweben sich. Herzen sprechen miteinander. Und das, was hier überall so getrennt ist, wird wieder ein Ganzes. Ich bin mit dem Land verbunden. ich bin mit dieser Küste verbunden. Geschwister. Freunde. Seelen.
Die Senhora wird mich begleiten. Auf jedem meiner Schritte an dieser Küste. Ich spüre sie, wann immer ich wiederkomme. In jedem Moment. Es ist eine Gewissheit und eine Hand in meiner. Wir kennen einander. Wir vertrauen einander. Wir sehen einander.
Ich gehe noch zu dieser kleinen Kapelle am Ende der Felsen. Sie ist wunderschön. Aber die Energie ist verschwunden. Alles, was hier einmal floß an Verbindung zur Senhora existiert nicht mehr. Dafür haben die Bauten in der Nähe gesorgt. Dafür haben die Menschen selbst gesorgt, die sich von der Liebe in ihren Herzen abgewandt haben. Sie folgen den falschen Göttern. Sie folgen dem Geld. Und das lässt die Senhora in ihnen sterben. Atemzug um Atemzug.
Aber sie kann wieder kommen. Es braucht nur die Bereitschaft. Es braucht nur die Entscheidung. Es braucht nur eine Kehrtwendung. Es braucht nur eine Öffnung. Sie ist jederzeit möglich. Es kommt auf die Menschen an..... Die Senhora wird da sein. Immer. Und warten..... So, wie die ganze Erde.