Persönliche Eindrücke (Foto: Rolf Handke - Rosel Eckstein / pixelio.de)

Portugal ist ein Märcheneich. So fühle ich es tatsächlich. Ich sehe es in den verwunschenen Ruinen und alten Häusern mit ihrer abblätternden Farbe. Ich erlebe es in der Verspieltheit von Mustern und Dekorationen. Ich erlebe es in der Sprache, die mit ihren herrlich ausufernden Silben und der Fülle an Wörtern eine Welt in so vielen Schnörkeln beschreiben kann, wie die Verzierungen einer kunstvollen Bäckertorte. Und irgendwie lebt das Land auch noch zu einem großen Teil, wie in einem Märchen, das längst vergangen ist. Um gleichzeitig mit einem unnachahmlichem Spagat, den Bogen in eine Moderne zu schaffen. Doch das Märchen schimmert durch. Immer wieder. An den unerwartesten Stellen. Und mit ihm eine Sehnsucht. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit. 

Das Land war eine Großmacht und hatte während der ersten Entdeckungsfahrten eine Vorrangsstellung in Europa. Plötzlich überflutete Reichtum dieses kleine Land, dass gegen Spanien immer um seine Existenz hat kämpfen müssen. Plötzlich wurde hier Geschichte geschrieben. Doch es war so schnell wieder vorbei, wie es kam. Und ich glaube, dieses unterschwellige Gefühl des "geschlagen seins" hat das Land nie wirklich verlassen. Es wabert durch die portugiesischen Seele und zeigt sich in einer Art von Düsternis, die in jeder Kirche, in jedem Gottesdienst, in jedem Fado und sogar in der Art der Nachrichten im Fernsehen. 

 

Es ist eine Art schwer angeschlagenes Selbstbewußtsein, das sich seit dem mysteriösem Tod ihres Sebastians nie wieder erholt hat. Sebastian war ein junger König, dessen Feldzug in Marokko 1578 nicht nur für seinen Tod sondern auch für eine verheerende Niederlage sorgte. Und - für die einzige echte Fremdherrschaft Portugals durch die Spanier - sechzig Jahre lang. Sebastian hat bis heute einen mystischen Ruf. Da seine Leiche nie gefunden wurde, gilt er als "nicht gestorben". Und als Retter des Landes - wann immer wirklich Unheil droht.

 

Wieso hatte dieser Zwischenfall, diese kurze Fremdherrschaft so einen Einfluss auf die Menschen? Wo sie doch ihre Grenzen - als einziges europäisches Land jahrhundertelang erhalten konnten? Und obwohl ihre Kultur und Lebensart immer einzigartig blieben. Obwohl sie eine ganze Dikatur friedlich beendet haben und eine Finanzkrise überlebten. Obwohl sie zwar nicht reich, aber so unglaublich kreativ sind - wie sonst nur auf Island. 

 

Sebastian starb am Ende der Entdeckerepoche. Er nahm sie mit in's Grab. Er nahm das Großreich Portugal mit seinen Besitztümern, seinen Reichtümern mit ins Grab. Die Portugiesen haben sich mehr als irgend ein anderes Land - ausgenommen vielleicht England - mit dieser Entdecker und Emire-Zeit identifiziert. Es hat niemals die Schattenseiten in Betracht gezogen, niemals wirklich aufgearbeitet, was das Gold in Portugal für Blut auf der anderen Seite von Atlantik oder in Asien bedeutet haben. Es sah nur, das sie führend waren. Führen. Einmal.

 

Dabei gibt es mehr als genug, um stolz zu sein. Doch die Wunden der Vergangenheit, dieser angeschlagene Selbstwert überschattet alles. Da hilft auch keine Nelkenrevolution. Tagtäglich verkünden die Nachrichtensprecher in endlosen Statistiken, wo Portugal im Vergleich mit Europa so steht. Als müssten sie sich ständig selbst beweisen, das sie existieren und gut sind. Nur - kein Beweis reicht. Keiner geht tief genug, keiner kann dieses innere Loch stopfen, das so allgegenwärtig ist. 

 

Ohne das die Glorifizierung der Vergangenheit aufhört, ohne echte Auseinandersetzung mit der Geschichte ihrer Kolonien, wird auch diese Wunde nicht verheilen. Das blockiert die Zukunft, so vielversprechend die auch wäre und sein könnte. Sie stehen sich noch selbst im Weg, diese wunderbaren Menschen, mit der feinen Seele und dem warmen Lächeln. 

 

Diese Menschen mit einem offenen Herz für Gastfreundschaft und all den Ideen, die diese Welt so dringend braucht, wie Wasser in der Wüste. Genauso, wie den Glauben an Märchen...

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0