Persönliche Eindrücke  (Foto: Rosel Eckstein / pixelio.de)

Aotearoa - das Land der großen, weißen Wolke, wie es bei den Maori genannt wird, ist und bleibt eines meiner Traumländer. Die gesamte Vielfalt der Natur ist hier auf engstem Raum versammelt. Es gibt keine Eintönigkeit sondern ein Feuerwerk an Abwechslung. Wilde Urwälder ohne jegliche Zugangsmöglichkeiten für Menschen; weite Fjorde, wie in Norwegen; uralte moosbepelzte Bäume, wie aus dem Feenreich; weite Sanddünen, die denen in Frankreich jeden Rang ablaufen; Hochgebirge, die nicht umsonst die neuseeländischen Alpen genannt werden; brodelnde Erde wie auf Island; Vuklanlandschaften wie auf La Réunion oder den Kanaren; Wasserfälle, die mit ihren glasklaren Pools zum Baden einladen; endlose Strände; ein tobendes Meer voller Kraft und Ungezähmtheit; riesenhafte Bäume; Wale und Delfine in solchen Mengen, das es Garantien dafür gibt, ihnen zu begegnen.... Oh ja, dieses Land ist ein Paradies. Ein Paradies, in dem sich die Kraft von Ozean und Erde miteinander vermählt haben und ihre ganze Schönheit sichtbar geworden ist. 

 

Dreimal war ich bisher am, von mir aus betrachtet, anderen Ende der Welt. Ich war kurz davor dieses Land zu meiner neuen Heimat zu machen. Denn schon beim ersten Besuch habe ich mich in jeden Flecken dieser beiden großen Inseln verliebt. Doch bevor ich diesen Schritt gehe, schaue ich tiefer und genauer und bleibe nur sechs von geplanten zwölf Monaten. Dann wird mir klar, dass das Paradies Risse hat, die nicht zu meinem Wesen passen.

 

Ich erlebe einen subtilen Rassismus, der mich erschreckt, weil er für mich völlig unerwartet kommt. Eigentlich sollte es mich nicht wundern. Auch Neuseeland war eine Kolonie und die Lage der Maori ist nicht die eines gleichberechtigten Partners, egal, welche Lippenbekenntnisse auch existieren mögen. Die Maori haben, meinem Gefühl nach, eine wesentlich stärkere Position als andere indigene Völker, weil sie ein Volk von Kriegern waren und sind. Doch ich entdecke bei den Pakhea, den Weißen, auch ein klares Gefühl von Überlegenheit. Überlegenheit gegenüber den Maori und auch Überlegenheit gegenüber den Menschen, die jetzt neu zu ihnen kommen möchten. 

 

Letzteres hat mit Sicherheit damit zu tun, das viele, die schon kamen, gefüllt waren mit Idealvorstellungen von der Welt, die sie in ihrer neuen Heimat verwirklichen wollten. Leider oft mit einem erhobenen Zeigefinger gegenüber Kiwis. "Warum schaffen sie ihre perfekte Gesellschaft nicht dort wo sie herkamen und lassen uns in Ruhe?" Diese Meinung höre ich öfter und kann sie gut verstehen. Doch es gibt noch einen anderen Grund. Die Pakhea sind in einem inneren Selbstfindungsprozess. Wer sind sie, wenn sie keine Engländer sind? Was ist ihre ganz eigene Identität, jenseits Europas? Noch wissen sie es nicht. Das ist ein fragiler Zustand, in dem jede Kraft von außen, die eine klare eigene Ausrichtung hat, eher zum Gegner als zur Bereicherung erklärt wird.

 

Ich beginne mich gerade in diesem Umfeld als Europäerin zu verstehen. Ich entdecke das Geschenk der Vielfalt in einem Land, in dem die englischen Traditionen und die dazugehörige Lebensart noch immer übermächtig sind. Ich spüre die Einseitigkeit besonders stark, weil ich gerade aus Australien komme und dort bereits ein Jahr in "englischer Kultur" erlebt habe. Ich merke, wie sich alles in mir nach Abwechslung sehnt. Und erst da wird mir klar, wie normal und wertvoll genau diese Vielfalt für mich in Europa wirklich ist.  Ich fühle mich hier ein bisschen wie in der ewigen Farbe grün gefangen. Dabei liebe ich doch den ganzen Regenbogen. 

 

Als ich zum dritten Mal komme, bekommen meine Eindrücke noch einmal einen anderen Blickwinkel. Ich sehe hinter weitere Vorhänge. Mittlerweile ist ein deutliches Interesse der Maori-Kultur fühlbar geworden. Es gibt eine starke Strömung von Menschen, die sich intensiv mit den Mythen, Bräuchen, der Sprache und den Menschen, die als erste herkamen, auseinandersetzt. Es sind die Menschen, die eine neue Identität der Neuseeländer gestalten. Gemeinsam mit den Maori. Das zu erleben, ist wunderbar.

 

Gleichzeitig werden mir bei diesem Besuch die Umweltthemen deutlicher als je zuvor. Die Monokultur in den Wäldern sticht förmlich ins Auge. Ich fahre immer wieder an riesigen abgeholzten Brachflächen vorbei, die aussehen wie eine Wüste. Forstwirtschaft wird hier sehr viel laxer betrieben als irgendwo in Europa. Das hat seinen Grund. Die Natur scheint hier übermächtig, verschwenderisch und immer verfügbar zu sein. Die Neuseeländer haben eine Pioniermentalität, die auf dem Zähmen der Natur, nicht auf ihrer Verehrung beruht. Das Überleben hier war für die neuen Siedler nie einfach. Sie waren von England abhängig. Ihre Daseinsberechtigung basierte darauf, wie gut sie die Bedürfnisse des Mutterlandes befriedigen konnten. Das ist der Grund, warum es hier außerhalb der Nationalparks keinen Boden gibt, der nicht eingezäunt ist. Das ist auch der Grund, warum es hier von Schafen nur so wimmelt. 

 

Was auch sehr deutlich wird, ist die extreme Zunahme der Sonneneinstrahlung. Die Schutzschichten sind augenscheinlich und klar fühlbar weg. In der ersten Woche muss ich äußerst vorsichtig mit meinen Aufenthalten unter freiem Himmel sein. Nur ganz früh am Morgen und erst am Nachmittag wieder gehe ich hinaus. Mein Körper muss sich langsam an dieses Extrem gewöhnen. Und auch dann nur mit einem 50- 75%igen Sonnenschutz samt Hut. Anders geht es hier nicht. Das ist ein deutlicher Dämpfer. Es macht mir auch klar, wie weit der Klimawandel mittlerweile schon ist. Gerade hier, im Paradies ist es so deutlich spürbar, wie sonst nirgends. Denn hier fällt mir alles sehr viel stärker auf, was nicht in das schöne Bild passt. Wie ein Störton in einer Symphonie.

 

Auch das Meer ist fühlbar anders geworden. Ich spüre, das die Verschmutzung keinen Bogen um die Inseln gemacht hat. Und das macht mich unsäglich traurig. Meine Illusion von der Unverwundbarkeit einer kleinen Insel in der großen Bewegung Richtung Katastrophe bricht in sich zusammen. Alles ist mit allem verbunden. Ja, das kann ich hier wirklich verstehen. 

 

Am meisten schockiert mit jedoch die grenzenlose Vermarktung des Paradies-Images. Das Land ist sehr viel voller geworden. Die Werbung wirkt. Die Touristen folgen dem Ruf. Neuseeland ist "in". Als Abenteuer-Outdoor-Endlos-Fest. Es ist auch überflutet von jungen Menschen, die alle ihre einjährige Working-Holiday-Zeit hier verbringen und auf den vielen Höfen und touristischen Unternehmen arbeiten. Im Grunde genommen beruhen sowohl Landwirtschaft als auch Tourismus in weiten Feldern auf ihrer Arbeitskraft. In ihrer Freizeit entdecken sie natürlich das Land. Und so sind die Wanderwege, die ich als stille, einsame, kraftvolle Orte kannte jetzt gefüllt mit feiernden Gruppen von jungen Erwachsenen, die hier so richtig "die Sau rauslassen können". 

 

Was ich jetzt allerdings neu entdecke sind die Talente der Kiwis. Sie haben eine unglaubliche Kreativität und spielerische Leichtigkeit beim Ausprobieren neuer Ideen. Es gibt keine langatmigen Planungen und Strukturen. Hier gibt es auch weder Gesetz- und Regeldschungel. Fast im Gegenteil. Gesunder Menschenverstand, Probierfreude und einfach machen. Fertig. Das wird schon irgendwie funktionieren, ob man davon nun eine wirkliche Ahnung hat oder nicht. Das kann natürlich auch richtig schiefgehen, aber dann macht man es eben beim nächsten Mal anders. Diese Unbekümmertheit und das völlige Einverständnis mit Straucheln und Fehltritten führt zu super inovativen Unternehmen. "Icebreaker" zum Beispiel, das ökologisches Denken und die vielen Schafe Neuseelands zu meiner Lieblingskleidung werden lässt. Meiner deutschen Planungsart tut dieses andere Denken sehr gut. Ich nehme einfach ein großes Stück davon mit und mische es mit meinem Gefühl von Ordnung und Struktur. Das fühlt sich nach einer sehr perfekten Verbindung an. 

 

Ich finde hier auch eine Unmenge anderer inspirierender Projekte. Da gibt es eine Vielzahl alternativer Gemeinschaften jeder Art und auch eine echte Kultur von Überlebenskünstlern, die die Buntheit ihrer Ideen wie ein wundervolles Blütenmeer über das gesamte Land verstreuen. Kreuz- und Querdenken ist hier eine absolute Normalität. Das gehört einfach dazu, wenn man auf sich gestellt irgendwo in der Wildnis allein etwas aufbauen will. Festgefahrene Gleise, denen es zu folgen gilt, existieren hier nur in Ansätzen. Ganz im Gegensatz zum geregelten Europa. Auch das tut mir gut. Es ist wie ein frischer Windhauch, der mich mein eigenes buntes Federkleid spüren lässt. Herrlich. 

 

Dafür danke ich dir von Herzen - Aotearoa und ich hoffe, ich werden den Weg noch einmal zu dir finden. Denn es gibt noch so Viele zu entdecken in diesem Land. Da ist dieser lange Wanderweg quer über beide Inseln, der mir schon lange, lange zuwinkt. Er würde mich durch sämtliche Klimazonen führen und praktisch jede Landschaft besuchen. Da sind die Great Walks auf der Nordinsel, die ich noch nicht gegangen bin. Aber vor allem, ist da die faszinierende Spiritualität und Lebensart der Maori, von der ich bisher nur Bruchstücke selbst erlebt habe. Der Zugang war mir bisher nicht möglich. Ich spüre, das hat sich grundlegend verändert. Wenn es stimmt, wird sich ein Weg zeigen, das weiß ich... 

 

Ka pa. Ka kite ano. Kia ora koutou katao! (Danke. Bis bald. Grüsse und beste Wünsche an alle!)

 

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0