Der Korfu-Trail

Es ist ein Traum, so früh im Jahr auf Korfu zu wandern. Fast alle bekannten Unterkünfte liegen noch im Winterschlaf, der Regen bricht dann und wann als Wolkenbruch über meinen Kopf herein, aber zu meinen Füssen finde ich das Paradies. Gott, ist das schön hier, wenn alles grünt und blüht! Unter jedem Olivenbaum sprießt es. Diese zarten Farben, die kenne ich gar nicht aus den Sommermonaten. 

 

Es ist wirklich die richtige Zeit. Mein Zelt brauche ich am Ende gar nicht, weil doch immer irgendwo ein Zimmer zu kriegen ist. Selbst, wenn im Hotel noch Baustelle herrscht, Herzlichkeit und Gastfreundschaft sind stärker als alle drängenden Vorbereitungen für den Saisonstart. 

 

So habe ich Korfu noch nie erlebt. So nah, so unmittelbar und mit solch offenen Armen. So wohl habe ich mich hier noch nie gefühlt. Vor allem, weil jetzt, in diesem Monat, diese Insel wirklich noch in den Händen der Einheimischen ist. Weil ich fast allein auf dem Weg unterwegs bin. Und - weil ich in Farben und Düften schwelgen kann, die nur einen Monat später schon fast Geschichte sind. Auch wenn das Meer dann eine dankbarere Badetemperatur hat und der muffige Geruch aus den Zimmern verschwunden sein wird. Auch wenn dann die Häuser frisch gestrichen prunken und jetzt noch etwas angefressen sind vom Winter. Ich möchte keinen Schritt missen! Genau jetzt und hier!

Der Freund, der mich aus Korfu-Stadt nach Agios Varvara bringt, schüttelt sicher innerlich mit dem Kopf. Diese verrückte Deutsche, die am 10. April loswandern will...! Diese verrückten Touristen! Es schüttet dort draußen. Wolkenbruch. Welcher normalsterbliche Grieche geht bei so einem Wetter freiwillig nach draußen? Das ist doch kein Wetter, das ist Wahnsinn.

 

Ja, Sonne wäre schon nicht schlecht, aber wozu gibt es Unterstände und Regenklamotten? Und - es regnet niemals für immer. Also - los geht's. Immer am Strand entlang. Triefend. Mit einem inneren Glücksgefühl, das mich fast bersten lässt. Der Rucksack ist zu schwer, ich weiß. Aber mit Zelt und Schlafsack wurde es einfach nicht weniger, auch bei all meinen Packkünsten vorhin im Hotel. Wie ich mein süßes knallrotes Monster auf dem Rücken die Berge hochkriegen soll, weiß ich auch noch nicht. Ich genieße es einfach nur, hier zu sein. Den Wind auf meiner Haut zu spüren, den Sand unter meinen Füßen. Die herrliche Brandung.

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Die Sonne scheint! Sie kitzelt mich gaaaaanz früh am Morgen wach und nicht, wirklich nichts hält mich mehr in den Federn. 

 

An jedem Ecke wartet ein tolles Motiv auf meine Kamera. Ich schwelge im Licht, ich schwelge in Farben, Formen, Düften.... Die alten Olivenhaine vor Paramonas sind ein Traum bei diesem Wetter. Ewig bleibe ich hier sitzen, Tränen fließen, die Verbindung zur Insel ist ganz präsent und tief - genau hier. Bäume sind Kraftorte - das hier ist einer meiner wichtigsten auf ganz Korfu. Ihre Wurzeln reichen in die Erde, geben mir Halt, Stärke, Mut. Ich bin so unendlich dankbar, hier sein zu können, sie zu fühlen, zu berühren, mich anzulehnen. Mit Blicken zu liebkosen, zu umarmen und glücklich im Gras zu liegen.

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Auf einen Schlag ist dieser innere Antreiber im Urlaub. Die Blase hat mich gestoppt und auch diesen unbändigen Vorwärtsdrang. So schön es ist, weiter und weiter zu gehen - die Entfernungen müssen stimmen. Es darf nicht zuviel werden. Es darf nicht zuviel sein. Ich will nicht mehr über meine Grenzen gehen, nur weil es äußere Umstände scheinbar fordern. Ich hätte ein Zelt dabei gehabt. Warum habe ich es nicht genutzt? Warum bin ich weiter diesen Berg hinaufgelaufen und habe mir die Blase gelaufen? Das Abendlicht hätte ich auch im Olivenhain, beim alten Kloster genießen können. Niemand hätte mich gestört. Nur die Stille wäre mein Begleiter gewesen.

 

Jetzt stoppt mich mein Körper. Wieder einmal zieht er die Bremse, wo ich es anders nicht schaffe. Er lässt mich innehalten im Rennen gegen mich selbst. Für was auch immer. 

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Es ist so leicht zu laufen, nach einem Tag der Stille und Ruhe. Kein Ziel ist heute in mir. Ich folge nur meinem Herzen und komme doch bis nach Pelekas. 

 

Der Abschied von Kostas fällt schwer. Aber - ich bin Wasser. Ich muss fließen. Ich muss mich bewegen. Nicht im Takt fremder Trommeln. Auf meine Art. Leicht. Klar. Rein. Ich streife durch "meinen" Wald. Das mystische Stück voller Felslandschaften. Steige auf den Agii Deka und lausche der Stille auf dem Gipfel, bei der kleinen Kapelle. Die Blumenlandschaft beim Kloster nebenan ist ein Gedicht. Der Abstieg mit den weiten Ausblicken genauso. Lange Mittagspause.

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Nach den vielen Kilometern gestern, die mir so leicht von den Füßen gingen, ist es ein Geschenk heute einfach gar nichts laufen zu "müssen". Es geht trotzdem von Pelekas hinunter zum Strand. Leider - eine Enttäuschung, auch wenn ich es genieße durch den Sand zu ziehen und das Wasser um meine Füße spielen zu lassen.

 

Diese wunderschöne Natur ist zugebaut. Ganz hinten, am Ende sehe ich eine Baustelle, ein riesiger neuer Hotelkomplex wird aus dem Boden gestapft und damit ist auch das letzte Zipfelchen der Bucht belegt. Es ist dadurch nicht möglich, wieder zur Straße hoch zu kommen. Ich muss mich mitten durch die Baustelle schleichen. Vorbei an Baggern, palavernden Arbeitern und schweren röhrenden Maschinen. Es hätte so schön sein können.

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Es ist der schönste und anstrengendste Wandertag zugleich. Wieder finde ich kein Ende. Weil es so wundervoll ist, durch das Grün zu laufen. Hoch. Runter. Durch die alten Olivenhaine, durch die Frühlingssonne. An Bilderbuchstränden wie Mirtiotissa vorbei.... Schwelgen in Farben. Schwelgen im klaren Licht, den deutlichen Konturen und dem himmlischen Blau. Schwelgen im Horizont, der Weite des Meeres. Und - besonders im Ropa-Tal - im zartesten grünen Teppich, den ich hier jemals erlebt habe. Ich kann es kaum fassen. Dort, wo ich nur sonnenverbrannte Erde kenne, dort ist jetzt ein Garten Eden. Ewig könnte ich hier laufen. Sitzen. Staunen. Schauen. Fühlen. 

 

Liapades, das kleine Dörfchen wäre ein stimmiger Endpunkt gewesen. Aber ich habe gar nicht gefragt. Mein Portemonaie ist etwas zu leer, um mich hier niederzlassen. Deshalb sollte es Paleokastritsa sein. Doch zuerst muss ich dafür hinunter nach Liapades Beach und dann den steilen Felspfad hinauf.

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Es sickert langsam in mich hinein. Ganz langsam. Meine Reise wird hier zu Ende sein. Meine Wanderung. Der Trail. Das Knie möchte nicht mehr. Es braucht eine richtige Auszeit. Eine komplette Pause. Ganz langsames Herantasten - zurück zu sich selbst.

 

Früh am Morgen schaue ich ins Kloster - vor den ersten Busladungen voller Touristen. Die Ikonenwand ist noch ganz dunkel, die Mönche machen sauber. Leitern stehen im Chorraum, Lampen werden geputzt. Es ist fast unmöglich, ein wirkliches Gefühl, für dieses wichtigste Kloster Korfu's zu bekommen. Und als die ersten Gruppen hereinstürmen, ist es ganz vorbei.

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Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0