Tag 2 - Waterfall Valley

Ruhetag und Ankommen

Das hier geht nicht im Schnelldurchlauf. Es ist unmöglich, diesen Weg, die Landschaft und die Erde zu erfassen, die sich so anders anfühlt, als alles, was ich kenne, ohne viel, viel, viel Zeit. 

 

Dieser Ruhetag ist dringend nötig. Aber innerlich bin ich noch unschlüssig an diesem Morgen. In mir wetteifern die Stimmen des Tempo's mit denen der Muße. Ein Teil von mir möchte gern auf den Berg über meinem Kopf steigen, der andere plädiert für jeden Menge Ruhe und kleine Schritte. Die Menschen um mich herum sind in fliegender Hast dabei, die Zelte abzubrechen. Fast jeder ist am Packen. Bis auf einen Mitwanderer, der in der Hütte geschlafen hat. Wir sind gestern noch ins Gespräch gekommen und auch er lässt sich Zeit. Zwölf Tage sind in seinem Plan, aber er will auch auf jeden Berg und hinein in ein Seitental. Geruhsam frühstücken wir, kochen unser Wasser und schauen den Leuten zu. Zwischendurch gehe ich auf die freien Zeltplätze und suche nach einem besseren Ort, als heute Nacht. 

 

Im bin weiterhin gespalten. Das Umpacken des Zeltes nimmt mir die Möglichkeit, schon in der Morgenkühle auf den Berg zu steigen. Aber Barn Bluff ist der Berg, auf den ich so gern möchte. Er ist für mich ein Symbol für diesen Weg. Hier oben saß ich vor dreizehn Jahren und habe zum ersten Mal in meinem Leben echte Wildnis erblickt. Eine unberührte Weite, die eine Saite in mir tief zum Klingen gebracht hat. Ich kann es nicht benennen. Aber eine Stimme in mir möchte das unbedingt noch einmal fühlen und sehen. Aber nicht in der Mittagshitze. Und einen ganzen Tag einfach nur hier unten bleiben? Der Gedanke fällt schwer, bei all diesen Plänen und der gut organisierten Tagesausfüllung um mich herum. 

 

Als ich das Zelt dann endlich umstellen kann, weil mein Lieblingsplatz frei geworden ist, tue ich das mit dieser Zerissenheit im Inneren. Unkonzentriert und fahrig. Mein Kopf versucht zu sortieren und sollte doch bei der Arbeit meiner Hände sein. Und schwups - passiert es. Mein linker Zeigefinger verhakt sich an den scharfen Kanten der Zeltheringe. Metall fährt tief in unter die Haut. Richtig tief. Das Blut fließt sofort und ich lasse alles stehen und liegen, nehme den Finger in den Mund, sauge und laufe hoch zur Toilette. Die Wunde braucht Urin. Sofort. Soviel und so schnell wie möglich und immer wieder, damit es keine Infektion gibt und damit es gut abheilt. Urin ist das beste Heilmittel, das ich kenne. Jeder Jod ist nur ein müder Abklatsch und eine blasse Kopie von dem, was Urin kann. Ich habe schon Wunder damit erlebt und ich würde es jeder Chemie tausendmal vorziehen. Außerdem ist diese Medizin immer dabei. Frisch und hochwirksam. 

 

Damit ist der Tagesplan geklärt. In einem winzigen Augenblick haben sich alle vagen Wanderpläne zerschlagen. Heute dreht sich alles um Heilung und Ruhe. Und das ist genau das, was ich brauche, um in diesem Land und auf diesem Weg wirklich anzukommen. Ich glaube nicht, das ich es ohne Wunde so friedlich, still und klar hätte entscheiden können. Vielleicht wäre ich meinem inneren Antreiber auf den Gipfel gefolgt und hätte nach etwas gesucht, was ich nur in mir selbst finden kann. Voller innerem Flirren und Flattern, voller Geschäftigkeit und ganz und gar unbefriedigt. 

 

Dafür fühle ich mich jetzt angenehm schläfrig und sehr still. Ich gehe nur wenige Schritte heute. Kleine Kreise um ein Zentrum. Schlummere tief in einen langen Mittagschlaf an meinem neuen Zeltplatz. Einem perfekten Ort. Und gehe erst am Abend, als ein frischer Schwung Menschen eintrudelt und die Tagesstille zerschlägt wie mit einem Hammer, auf eine Mini-Wanderung samt Kamera. Die Stille in mir schafft genau den Raum, den die Erde braucht, um die Verbindung zu meiner Seele herzustellen. Sie lässt mich hineinsinken in dieses trockene und nach Honig und Eukalyptus duftende Land. Sie lässt mich die Energie spüren und die Bäume umarmen. Und sie lässt mich jedes Ziel und jede Ahnung von Leistungsdruck hinaus in die unendliche Weite atmen. Jetzt bin ich da. Jetzt bin ich wirklich da.

 

Und mein Finger? Es geht ihm gut. Natürlich braucht es hier draußen alle Konzentration. Es braucht alle Achtsamkeit. Es braucht mein Fühlen und meine Präsenz. Hier geht es nicht einfach um äußere Wundheilung. Hier geht es genauso stark um die eigentliche Ursache. Meine innere Zerissenheit. Das Pendeln zwischen Leistungsdenken und Frieden im Hier und Jetzt.

 

Es geht auch um einen klare Entscheidung. So lange zu bleiben, bis ich sicher bin, das ich ohne jeden Zwischenfall weiterlaufen kann. Ohne Entzündung und ohne jede Komplikation. Ich stehe an erster Stelle. Nicht diese Wanderung. Ein glasklares, wunderbares Gefühl.

Heilarbeit für Menschen, Orte und die Erde 0